Direkt vorab: ja, manchmal stört Stimming.
Und tatsächlich stört es nicht nur die neurotypische Außenwelt… manchmal (oder oft) stört es auch die „Stimmer“ selbst - nämlich dann, sobald sie einmal gemerkt haben, dass „man DAS nicht macht“, dass es unerwünscht ist, vielleicht sogar bereits ein- oder mehrmals verboten wurde…
Aber ein Unterdrücken ist sehr anstrengend und vor allem nicht zielführend!
Denn Stimming soll ja ein Ventil sein. Ein Ventil, mit dem man einer Überreizung entgegenwirken kann. Mit Stimming kann man sich ein bisschen „Wellness“ im neurotypischen Alltag schaffen.
Vergleich gefällig? OK, also:
Du stehst im prallen Sonnenlicht, die Außentemperatur beträgt seit Tagen 40 Grad Celsius Minimum - im Schatten. Du trägst lange, schwarze Kleidung, inkl. Socken und geschlossene Schuhe. Du schwitzt, bekommst Kopfschmerzen, deine Atmung wird immer flacher, du hast das Gefühl, nicht genug Luft zum Atmen zu bekommen. Panik steigt auf…
Leider ist es aus sozialen Normen heraus in diesem Szenario, welches wir hier zum Vergleich erschaffen, nicht erlaubt, einen schattigen Ort aufzusuchen, sich seiner Schuhe zu entledigen, etwas zu trinken oder auch, sich mit der Hand Luft zuzufächeln.
Also hälst du durch, versuchst weiterhin zu lächeln und irgendwie zu funktionieren, auch wenn dir zunehmend schwindelig wird und dein Kreislauf merklich schlapp macht.
Nur einen Meter weiter steht ein Schatten spendender Baum, darunter ein Trinkwasser-Brunnen… Aber nein, die Frau da drüben schaut schon skeptisch und abfällig mit einem Blick der sagt: „Na? Du bist zu schwach, oder? Du schaffst das nicht!“
Ähnlich geht es vielen neurodivergenten Menschen in vermeintlich „normalen“ Alltagssituationen“ wie Schule, Supermarkt, Familienfeier, etc…
All das kann sehr, sehr anstrengend sein und manch einer würde sich zwischendurch gern mal ordentlich schütteln, um sich wieder richtig spüren zu können. Oder mal springen, tief Luft holen, laute Geräusche von sich geben. Vielleicht mit den Fingern trommeln, schnalzen, mit dem Armen wedeln.
Wenn da nicht die Angst vor den damit verbundenen „schiefen Blicken“, möglichen Strafen oder zumindest den Hinweisen, dieses „Gezappel“ doch bitte zu unterlassen, verbunden wäre.
Denn wir Menschen wollen dazugehören, wir wollen nach Möglichkeit nicht auffallen.
Wenn wir also erst einmal erfahren haben, dass das, was wir da tun, nicht erwünscht ist, komisch aussieht, die anderen Menschen stört, dann versuchen wir das zu unterlassen. Wir versuchen, das Bedürfnis, das da in uns hochkommt, zu unterdrücken, versuchen unser Stimming zu verheimlichen.
Somit wird Stimming zu etwas Negativem - obwohl es eigentlich eine ganz tolle Wirkung haben kann. Es kann helfen, einen klitzekleinen „SafePlace“ in der neurotypischen Welt zu erschaffen, einen Moment der Ruhe, ein kleines bisschen Sicherheit…
Daher meine Bitte: Wenn ihr jemanden seht, der „stimmt“, jemanden, der quietscht, trommelt, wedelt, brummt, hüpft, an seinen Lippen leckt, sich dreht…. Was auch immer: lasst diesem Menschen sein Stückchen Sicherheit!
Ver- und beurteilt nicht, verbietet nicht, zweifelt nicht.
Das, was ihr da gerade bemerkt, ist gerade notwendig - also: bitte nicht stören.
Und nach Möglichkeit auch nicht offensiv weiter beobachten, denn die Chance, dass ihr dabei entdeckt werdet und ein schamvolles Gefühl hinterlasst, ist groß! Stimming kann etwas sehr Persönliches sein. Ihr wollt doch auch nicht beobachtet werden beim Schlafen, auf der Toilette oder in der Umkleidekabine…
Was tust du, damit es dir in herausfordernden Situationen besser geht?
Sei ehrlich mit dir! Irgendeine Art „Stimming“ kennt fast jeder…
Sei es ein nervöses Scharren mit den Füßen, kurz bevor die Klassenarbeit ausgeteilt wird, das Wringen der Hände und Finger, wenn man auf sein Date wartet, schlucken und räuspern, bevor man zum Vorstellungsgespräch hereingerufen wird…
Und wenn es hilft - warum nicht???
Tu dir was Gutes und gestehe das auch jedem anderen zu.
In diesem Sinne:
Bleibt neugierig aufeinander!
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