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Janina Jörgens

Meine erste Frage (von 4 Fragen) in der Umfeldarbeit - „Was schätzen Sie an … am meisten?“


Kinder mit Daumen hoch


„Was schätzen Sie an … am meisten?“

Meist bekomme ich auf diese Frage keine spontane Antwort, sondern zunächst ein erstauntes Innehalten. 

 

Die Gedanken, die diese Eingangsfrage bei meinen Gesprächspartnern auslöst, sind oft folgendermaßen:

 

„… Moment mal… Ich hatte mich vorbereitet auf: „Was sind die Probleme und Herausforderungen“…? Ich bin doch genau wegen der Schwierigkeiten hier… Ähm… was schätze ich an Tim…? Puh - keine Ahnung, er ist immer so vorlaut, frech, stört im Unterricht… naja, er ist wissbegierig und eigentlich ein kluges Köpfchen… wenn er nicht immer… Moment… ich sollte überlegen, was ich an ihm schätze… hmmm, also…“

 

Diese erste Frage sorgt beinahe immer für einen Überraschungsmoment. 

Sie kann eine angespannte Atmosphäre auflockern. 

Sie sorgt für ein erstes „Huch!“ - und ja, es werde sicher noch einige weitere in unserer Arbeit folgen! ;-)

 

Ich möchte direkt zu Beginn für einen Wechsel des Blickwinkels sorgen, für ein „Raus“ aus dem bekannten, defizitären „Fahrwasser“.

 

Leider wurden die neurodivergenten Menschen, die der Anlass für solche Beratungen sind, bereits in verschiedene Schubladen gesteckt (RW). 

 

Tim stört im Unterricht.

Tim kann nicht abwarten.

Tim nimmt keine Rücksicht.

 

Und so wird Tim nicht mehr neutral betrachtet, positive Begebenheiten werden oft schnell relativiert oder gar negiert, negative Ereignisse erscheinen schlimmer und häufiger, einfach weil auf Tim bereits ein negativer Focus liegt…

 

Diese Haltung kann keine gute Grundlage für eine Beratung sein, welche zum Ziel haben soll, ein gelingendes Miteinander zu entwickeln.

 

So hat sich diese einfache Frage bewährt, um einen ersten „Gedanken-Shift“ liebevoll zu „erzwingen“.

 

„Was schätzen Sie an (in diesem Beispiel) Tim am meisten?“

 

Natürlich sprechen wir im weiteren Verlauf auch über Schwierigkeiten, aber eben nicht gleich zu Beginn.

 

Ich finde es immer spannend zu beobachten, wie manchmal bereits vorbereitete Zettel mit Beispielen von vermeintlich schwierigen Situationen nach dieser ersten Frage zweifelnd betrachtet und oft umformuliert werden.

 

Manchmal fällt es meinem Gegenüber jedoch auch sehr schwer, positive Eigenschaften bzgl. des Menschen, um den es in diesem Gespräch geht, zu finden.

 

Ich helfe gern. ;-)

 

Dieses Umdenken ist auch bereits der erste Schritt in die Arbeit der „umfeldverbessernden Maßnahmen“. 

 

Denn mit meinen Klienten, Autisten, ist nichts verkehrt.

 

Vielleicht ist einiges anders, als bislang gewohnt - ja. 

Vielleicht helfen die üblichen Maßnahmen nicht - ja.

Vielleicht ist die (durchaus gegenseitige) Verzweiflung groß - ja.

 

Aber genau deswegen sitzen wir ja in der Beratung zusammen.

 

Denn, und auch das mag für den Einen oder die Andere erst einmal überraschend sein:

  • Das gesamte System wird zur Mitarbeit aufgefordert.

  • Wir erarbeiten Verständnis für neurodivergente/ autistische Verhaltensweisen.

  • Wir finden gemeinsam individuelle, gelingende Lösungen.

 

Und ein gemeinsames Arbeiten gelingt besser mit Menschen, die man schätzt. Denn dann geht man vielleicht sogar gern den oft steinigen gemeinsamen Weg und freut sich über gemeinsame Erfolge.

 

Und der erste Erfolg kann schon mal die Erkenntnis sein, dass Tim, oder wer auch immer, ein durchaus liebenswerter Mensch mit tollen Eigenschaften ist, der unsere Unterstützung vielleicht braucht, aber in jedem Fall verdient hat!

 

Denn wir sollten uns gegenseitig unterstützen! Jeder, immer.

 

In diesem Sinne:

Bleibt neugierig!

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