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Janina Jörgens

Sensorische Irrläufer


Nachdenkliche Frau - Chaos im Gehirn


Die autistische Wahrnehmung ist oftmals nicht nur sehr intensiv und mitunter ungefiltert…

 

Das „Synapsenfeuerwerk“ kann auch schon mal „Querschläger“ produzieren. Dann werden womöglich Gehirnareale aktiviert, die mit dem eigentlichen Reiz zunächst gar nichts zu tun haben.

 

So liegen z.B. die Areale, in denen Blickkontakt verarbeitet wird und der Hirnbereich, der für Schmerzempfinden zuständig ist, ziemlich nah beieinander… Und viele Autisten berichten, dass ihnen Blickkontakt unangenehm ist. Sie berichten von einem Kribbeln bis hin zu Schmerzen…

 

Auch werden manche Reize anders interpretiert.

 

Lisa z.B. aß schon seit ihrer frühesten Kindheit sehr schlecht. Sie klagte häufig über Übelkeit und mochte keinen Bissen zu sich nehmen. 

Erst als Lisa erwachsen war, entdeckte sie, dass sie ihr Leben lang Schwierigkeiten hatte, ein Hungergefühl zu empfinden, bzw. dieses als „Hunger“ zu interpretieren. Es fühlte sich für sie wie Übelkeit an.

 

Insbesondere „innere“ Reize, also Körpersignale und Gefühle werden oftmals missinterpretiert. Oder auch vermischt und in einen (eigentlich) nicht existenten Zusammenhang gebracht…

 

Kennt ihr z.B. die Begriffe „hangry“ und „mütend“?

 

„Hangry“ setzt sich zusammen aus „hungry“ (hungrig) und „angry“ (wütend). 

Na, kenn ihr jemanden, zu dem das passt?

Wer mich im Real-Live kennt - ja… ;-)

Häufiger meinen Menschen, ich sei ja immer fröhlich… das beweist aber nur, dass sie mich noch nie erlebt haben, wenn ich Hunger habe… ;-)

 

Tatsächlich geht es ganz vielen meiner Klienten ebenso. Wenn ich also eine Grundunruhe oder gar schlechte Stimmung bei ihnen bemerke, sie aber nicht benennen können, was gerade los ist, dann frage ich nach, wann sie zuletzt etwas gegessen oder getrunken haben. Und tatsächlich findet sich hier häufig schnell die Ursache für das Stimmungstief.

 

Und „mütend“?

Das haben bestimmt auch schon einige von euch erleben dürfen.

Die fatale Vermischung von „müde“ und „wütend“.

 

Nicht nur Hunger kann die Stimmung verschlechtern, sondern auch Müdigkeit. 

Ich glaube, das ist etwas, was viele Menschen nachvollziehen können, oder? Jeder war doch schon mal zumindest gereizt an einem Tag nach einer - warum auch immer - durchwachten Nacht, oder?

Wir als erwachsene Menschen können solche Zusammenhänge bei uns selbst häufig recht gut herstellen. Kindern gelingt es allerdings womöglich nicht von selbst, diese Muster zu erkennen.

 

Auch hier wieder meine dringende Bitte: Beobachtet gut und begleitet mögliche Unstimmigkeiten behutsam und erklärend.

 

Gefühle und Empfindungen sind einfach da. Wir leben damit. 

Manche sind für uns angenehm, andere weniger. 

Aber selten spricht man darüber. Also so richtig! Irgendwie nehmen die meisten Menschen an, dass alle anderen um sie herum alle gleich empfinden. Allerdings fürchte ich, dass dies eine Einschätzung ist, bei der man nicht mehr daneben liegen kann…

 

Gefühle sind unglaublich schwer in Worte zu fassen! Sie beinhalten so viel Ungewissheit, so viele Fragen!

Vielleicht flüchten wir uns genau deswegen so oft in Phrasen, Small-Talk, rhetorisches Geplänkel?

 

Selten bekommen Kinder die Gelegenheit, ihre Gefühle zeigen und ausleben zu dürfen - insbesondere solche Gefühle wie Wut, Ärger, Eifersucht, etc..

 

Dabei gibt es da, gerade für neurodivergente Kinder, so unglaublich viel zu lernen! 

 

Helft ihnen, sich selbst zu erleben und zu beobachten. Erarbeitet gemeinsam und ganz in Ruhe, was da passiert ist.

Bitte gebt allen Beteiligten dabei viel Zeit. Fangt nicht direkt noch während eines starken Gefühlsausbruches an, diesen zu analysieren.

 

Versucht, gemeinsam andere Menschen zu beobachten und deren Verhalten zu entschlüsseln. Schaut euch Kinderfilme an, gern auch animierte, da werden Gefühle oft sehr plastisch und leicht erkennbar dargestellt.

 

Nehmt euch eine Gefühlsskala zur Hand und zeigt, wie ihr euch gerade fühlt, oder wie ihr denkt, dass sich das Mädchen da im Film gerade fühlt. 

 

Stellt Überlegungen auf, warum diese Gefühle vielleicht gerade da sind.

Besprecht, dass dieses Gefühl gerade richtig und für die Person wichtig ist und vielleicht auch, wie man ihr mit diesem Gefühl helfen kann, wenn sie es möchte.

 

So könnt ihr viel miteinander, voneinander und füreinander lernen! 

 

Wenn ihr nämlich dann demnächst mal gemeinsam in eine Situation kommt, in der sich das eine oder andere starke Gefühl gerade seinen Weg sucht, dann wisst ihr schon, wie ihr euch gegenseitig helfen könnt! Ob Ruhe gewünscht ist, ein „In-den-Arm-Nehmen“ oder ein Kühlakku…

 

Neurodivergente Menschen, Autisten haben häufig eine andere Wahrnehmung, eine möglicherweise sehr detailreiche, intensive Wahrnehmung ohne Filter. Wenn diese dann auch noch absolut verwirrend ist, weil man sie nicht richtig einordnen kann, dann dürfen wir uns über ein ständig deutlich erhöhtes Stresserleben nicht wundern!

 

Bleibt neugierig.

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