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Janina Jörgens

Trauma: Schule - Die Hatz durchs Schulgebäude


Kind rennt durchs Schulgebäude


Triggerwarnung!



Das Fallbeispiel, von dem ich heute berichte, hat es in sich! Ich muss davon berichten und weiß noch nicht, wie ich das in Worte fassen kann.

 

Schon jetzt habe ich wieder Gänsehaut und mein Magen krampft sich vor Fassungslosigkeit und Wut zusammen…

 

 

Fabian, Asperger-Autist und zu dem Zeitpunkt 14 Jahre alt, ging auf eine Förderschule mit dem Schwerpunkt Sozio-Emotionale Entwicklung.

 

An diesem Tag waren nur wenige Kinder in der Schule, es gab viele krankheitsbedingte Ausfälle auf Lehrer- wie auf Schülerseite. So war schon früh am Tag klar, dass die letzten Schulstunden ausfallen würden.  Die Kinder, die mit dem Schulbus fahren mussten und nicht früher nach Hause gehen konnten, mussten also anderweitig beschäftigt werden.

 

Fabians Lehrerin erklärte ihm die Umstände und fragte ihn also:

„Was möchtest du heute Nachmittag machen? Möchtest du mit den anderen Kindern rausgehen in den kleinen Wald oder drinnen bleiben und Karten spielen?“

 

Fabian liebte den Wald und so war die Antwort klar: „Wald!“

 

Bis hierhin war ich begeistert von dem Bericht, denn Fabians Lehrerin hatte sich frühzeitig bemüht, ihm die Umstände zu erklären, ihn auf den geänderten Plan vorzubereiten. Zudem hat sie ihn sogar aktiv mit einbezogen und ihn an der Gestaltung des Alternativ-Plans teilhaben lassen. 

 

Nun begaben sich die zur Verfügung stehenden Lehrkräfte in die Planung - wer bleibt mit der einen Kindergruppe drinnen und wer geht mit Fabian und zwei weiteren Kindern in den Wald?

 

Der Vormittag verstrich, der Unterricht wurde beendet. Viele Kinder gingen nach Hause und die anderen gingen in den Raum zum Kartenspielen oder zogen sich für den Waldausflug an.

 

Nur nicht Fabian…

 

Er blieb wie versteinert auf seinem Stuhl in der Klasse sitzen.

 

Schließlich forderte seine Lehrerin ihn auf, sich nun endlich auch anzuziehen, die anderen Kinder könnte sie nicht so lang warten lassen (tatsächlich war keine andere Aufsichtsperson da…).

 

Fabian murmelte: „Ich will nicht raus.“

 

Das Nervenkostüm von Fabians Lehrerin war nicht das strapazierfähigste, was unter den beschriebenen Umständen sogar nachvollziehbar ist.

 

Was dann folgte, ist jedoch weder ansatzweise nachvollziehbar noch entschuldbar…

 

Sie schimpfte los: „Jetzt komm schon! Ich hab dir extra früh Bescheid gesagt! Du wolltest in den Wald… nun komm!“ und zog ihn vom Stuhl hoch.

 

Fabian kann weder laute Geräusche noch Berührungen gut ertragen, sprang also panisch von seinem Stuhl auf und lief aus dem Klassenraum. 

Seine Lehrerin lief hinter ihm her und rief: „Fabian! Bleib sofort stehen!“

 

Er rannte durch das gesamte Schulgebäude, hielt sich dabei die Ohren zu.

Die Lehrerin rief andere Lehrkräfte um Hilfe und mittlerweile verfolgten sie den Schüler zu Viert durch die Gänge.

 

Im Nachhinein hieß es, Fabian habe hier Gänge genutzt, die zum Teil selbst den Lehrer/Innen bis dahin nicht bekannt gewesen seien.

 

Der Hausmeister versperrte schließlich die Tür, die zum Schulhof geführt hätte mit seinem Körper, so dass Fabian nicht vorbeikam und quasi „in der Falle saß“.

 

Seine Lehrerin und die Kolleg/Innen kamen zu Fabian und stellten sich um ihn herum auf.

 

Sie redeten auf ihn ein:

„Warum tust du das? Du kannst nicht einfach wegrennen! Du hast stehen zu bleiben, wenn man dich ruft. Hör auf, dir die Ohren zuzuhalten. Erklär mir sofort, warum du jetzt auf einmal nicht mehr raus willst. Wir haben das alles wegen dir geplant. Die Anderen stehen jetzt oben alleine und warten… Du kannst nicht einfach immer machen, was du willst…“

 

Und Fabian? Der kauerte mittlerweile mit den Fäusten am Kopf auf dem Boden, hörte nur noch Rauschen in den Ohren und konnte nicht mehr sprechen.

 

In der Flut von Schimpftiraden wäre kaum jemand zu Wort gekommen. Fabian sprach eh schon mit kaum jemandem…

 

Hätte sich jemand die Zeit und Ruhe genommen, so wie wir es 2 Tage später zusammen getan haben, dann hätte derjenige eine ganz einfache Antwort bekommen:

„Es regnet!“

 

Niemand, außer Fabian, hatte bemerkt, dass es in der Zwischenzeit begonnen hatte, zu regnen. Ein Waldbesuch war also zu diesem Zeitpunkt einfach keine gute Idee mehr - wenn man nicht unbedingt nasse Schuhe und eine Erkältung riskieren wollte…

 

 

Wenn man jetzt denkt, dass sich im Nachhinein irgendjemand für diese Hatz durchs Schulgebäude, diese Drangsalierung durch mehrere Lehrer/Innen entschuldigt hätte - weit gefehlt!

 

Im Gegenteil: Fabian wurde schriftlich über einen Brief an seine Eltern aufgefordert, sich für sein Verhalten zu entschuldigen und sich zu erklären… Und dies gleich am nächsten Morgen, vor Schulbeginn.

 

Tja - Pech für denjenigen, der diese Entschuldigung forderte.

 

Fabian wurde von seiner Mutter, die sich hierfür von ihrer Arbeitsstelle abmelden musste,  nach diesem Vorfall in der Schule abgeholt.

Er sprach auf dem gesamten Heimweg kein Wort, ging zu Hause in sein Zimmer, legte sich in sein Bett und schlief bis zum nächsten Tag um 21 Uhr… 29 Stunden lang. Shutdown.

 

Seine Mutter meldete ihn für den Rest der Woche krank.

 

 

Noch immer fehlen mir die Worte, wenn ich daran zurückdenke.

 

So schließe ich hier und wünsche mir von Herzen mehr Akzeptanz der Menschen untereinander.

 

Bleibt füreinander da!

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