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Janina Jörgens

Vincent sorgt für seine Bedürfnisse - KIKA-KIKA-KIKA




Vincent (5,5 Jahre, atypischer Autist, Late Talker) hatte noch eine weitere Leidenschaft - neben den Blumen… KIKA - den Kinderkanal.

Sobald Vincent sich selbst überlassen war, wandelte er durch die Einrichtung und murmelte stets von sich hin: „KIKA, KIKA, KIKA…“. Er organisierte sich drei Stifte in den Farben gelb, blau und rot, suchte sich eine ruhige Ecke und begann das Logo des Kinderkanals zu malen. Damals: ein rotes Kreuz, ein gelbes Kreuz, verbunden durch einen blauen Strich, in welchem stand „Der Kinderkanal“. Wenn man ihn nicht unterbrach, ihm die Stifte oder das Papier wegnahm, beschäftigte er sich scheinbar den ganzen Tag mit nichts anderem.

 

Die Erzieherinnen wollten ihm jedoch Lernchancen eröffnen, seinen Blick für die Welt weiten. So entfernten sie irgendwann alle gelben, blauen und roten Stifte sowie verfügbares Malpapier aus der Gruppe.

 

Nachdem Vincent circa eine Stunde unruhig auf der Suche durch den Raum gestromert war, war plötzlich Ruhe… Er hatte sich Stifte und Papier in der Nachbargruppe geholt… 

 

Nun wurden alle Kolleginnen der Kita gebeten, Stifte und Papier für Vincent unzugänglich zu machen.

 

Vincent brauchte am folgenden Tag dementsprechend länger, circa zwei Stunden, um zur Ruhe zu kommen. Er hatte sich beholfen mit einem blauen Kugelschreiber, einem roten Korrekturstift und einem kleinen Notizzettel vom Schreibpult der Erzieherinnen. Zu seinem Glück hatte er sogar einen Minirest eines gelben Wachsstiftes unter dem Basteltisch gefunden… seine Welt war wieder in Ordnung.

 

Erneuter Kolleginnenaufruf: Bitte auch alle Schreibpulte in den Gruppen verschließen.

 

Tatsächlich fand Vincent am nächsten Tag in der gesamten Einrichtung keinen einzigen Stift und auch kein Stückchen Papier… Ungehalten durchstreifte er die Räume. „KIKAKIKAKIKAKIKA.“ Das war nicht mehr gemurmelt! Die Erzieherinnen waren kurz davor ihm einfach seine Stifte wieder auszuhändigen, als sich plötzlich eine wohltuende Stille über die Gruppe legte.

 

Was war passiert?

 

Vincent hockte zufrieden auf dem Boden unter dem Tisch in der Bastelecke. Ein seliges Lächeln umspielte seinen Mund. Vor ihm auf dem Boden eine rote Bastelschere - aufgeklappt, so dass sie aussah wie ein „X“, eine gelbe Bastelschere – aufgeklappt zum „X“, über beiden, als der verbindende Strich ein blauer Strohhalm.

 

Vincent hatte erneut „gewonnen“.

Am nächsten Tag waren alle Schreibpulte wieder zugänglich, alle Stifte und Papier wieder frei verfügbar… ;-)

 

Ein eindrückliche Beispiel, welche Umwegleistungen erbracht werden, um Ordnung in eine chaotische Welt zu bringen.

 

Soviel Kreativität und Durchsetzungsleistung hinsichtlich der eigenen Bedürfniserfüllung hätten ihm die meisten Erwachsenen Menschen um ihn herum zuvor nicht zugetraut. Glücklicherweise konnte Vincent nun erfolgreich deutlich machen, wie dringend seine Bedürfnisse waren und es wurde leichter, sie ihm zu gewähren.

 

In diesem Sinne: Bleibt neugierig aufeinander.


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