‚Was hast du denn!?‘
‚Nun sag doch was!‘
‚Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden!‘
‚Du musst lernen, über deine Gefühle zu sprechen!‘
Oh jeh….
Viele werden solche Sätze und die damit verbundenen Situationen kennen.
Die Idee dahinter ist nachvollziehbar.
Da ist jemand, der offensichtlich gerade mit großen Gefühlen zu kämpfen hat, der vielleicht eine unschöne Situation erlebt hat, der vielleicht Schwierigkeiten hat, Gefühle bei anderen und/oder sich selbst zu erkennen, einzuordnen und zu benennen. Und da möchte man als Außenstehender helfen.
So weit - so gut.
Aaaaaber:…!
Vielen Menschen, auch und gerade Autisten und anderen neurodivergenten Menschen geht es oft so, dass sie sich kaum trauen, jetzt, direkt, auf Nachfrage über die Situation, die Gefühle, ihre Schwierigkeiten zu sprechen.
Zum Einen ist es sowieso oft sehr schwierig, über Dinge zu sprechen, die einen selbst betreffen.
Zum Anderen erleben sie Gefühle - die eigenen und die der anderen Personen - meist äußerst intensiv!
Darüber zu sprechen ist ein wenig, wie das Öffnen der ‚Büchse der Pandora‘.
Die Gefühle sind da - und sie sind groß und überwältigend, geradezu beängstigend.
Wenn man nun darüber sprechen soll, muss man sich öffnen.
Und dann kann man durchaus Panik bekommen, weil man nicht einschätzen kann, ob man das angemessen und dosiert tun kann, oder ob einem sofort das gesamte Gefühlschaos ungebremst ‚um die Ohren fliegt‘, sobald man den Deckel der Box nur leicht angehoben hat- ähnlich wie beim Schnellkochtopf…
Da würde auch niemand auf die Idee kommen, direkt nach der Kochzeit sofort den Deckel zu öffnen.
(Meiner Oma ist es leider aus Unachtsamkeit tatsächlich mal passiert - der Effekt war nachhaltig beeindruckend… die Küche musste im Anschluss komplett renoviert werden… 🙈😊🙈)
Auch beim Schnellkochtopf muss man erst mal nach und nach Druck ablassen, erst mal ‚nur‘ heißer Dampf, der aber schon verheißungsvoll duftet. Schwierig für ungeduldige, hungrige Umstehende- aber dringend erforderlich!
Erst wenn der Druckausgleich vollendet ist, kann man gefahrlos den Deckel abheben und sich dem Inhalt widmen.
Ähnlich ist es bei ‚grossen Gefühlen‘.
(Einschub: was als ‚grosses Gefühl‘ empfunden wird, darf ausschließlich der beurteilen, der es fühlt!!!)
Auch hier müssen Außenstehende geduldig sein!
Zeit geben
Beobachten
Nicht forcieren
Sich als Gesprächspartner anbieten- einfach ‚da sein‘.
‚Dampf ablassen‘ in Form von z.B. toben, schimpfen, schreien, was auch immer… tolerieren! Hierbei nur vor Selbst- und Fremdgefährdung schützen. Keine Restriktionen, auch nicht verbal (‚Davon wird es nicht besser.‘ ‚Du machst es nur noch schlimmer.‘ ‚Wir haben dir doch gar nichts getan.‘ ‚Nun beruhige dich doch erst mal.‘)
Abwarten
Das ‚sich als Gesprächspartner anbieten‘ ist eine der Grundsätzlickeiten, die man im gegenseitigen Miteinander nach und nach einpflegen sollte, günstigstenfalls vorab, also nicht in einer aktuell brisanten Situation. Wenn man sich gut kennenlernt, kann man schon gemeinsam klären, wie man sich in schwierigen Situationen miteinander verhalten kann und soll. Hier kann man z.B. gegenseitig fragen:
Möchtest du getröstet werden?
Wie möchtest du getröstet werden?
Soll/ darf ich dich berühren?
Wie kannst du zeigen, ob ich dich berühren kann/darf/soll.
Wie möchtest du berührt werden? (Kuscheln, auf den Schoß, Rücken an Rücken sitzen, ganz fest halten…)
Denn wenn wir auf denjenigen, der da gerade mit sich, der Welt und seinen Gefühlen zu kämpfen hat, einreden, Trost, Hilfe, Lösungsideen etc. anbieten wollen - dann meinen wir das nur gut! Ganz sicher!
Auf den Betroffenen hat es aber eine ähnliche Wirkung, als wenn man Öl ins Feuer gießen würde und man riskiert eine ähnliche heftige Reaktion, ggf. einen Meltdown.
Manchmal ist weniger eben einfach mehr.
Seid geduldig miteinander und lernt euch gegenseitig gut kennen- möglichst bevor es zu problematischen Situationen kommt.
Bleibt neugierig aufeinander!
🍀
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