In den ersten 20 Jahren meines Berufslebens habe ich ja als Sprachtherapeutin gearbeitet, schon da im Schwerpunkt mit Autisten und (noch) nicht sprechenden Menschen.
Und auch jetzt höre ich von den besorgten Eltern meiner Klienten noch immer ganz oft die bange Frage: Wann wird mein Kind endlich sprechen lernen? Wird mein Kind überhaupt jemals mit mir sprechen?
An dieser Stelle möchte ich noch einmal daran erinnern: Kommunikation braucht keine Worte. Also Sprache ist nicht nur das Benutzen von gesprochener Sprache! Und sollte sie dennoch ausbleiben, ist das nicht schlimm - bestenfalls… Einer meiner nichtsprechenden Klienten ist sehr erfolgreich, lebt sein eigenes selbständiges Leben und verdient heute ausnehmend gut in seiner eigenen IT-Firma…
Aber ich kann die Sorge und den Wunsch absolut verstehen!
Denn vieles wird mit verbaler Sprache so viel einfacher - und zumindest ein Stück weit normaler.
Tja - wann fängt ein Mensch spätestens mit dem Sprechen an?
Wie du schon ahnst: Ratgeber und Tabellen helfen uns hier vermutlich kaum weiter…
Richtig.
Jeder Mensch und insbesondere jeder neurodivergente Mensch lernt und entwickelt sich im eigenen Tempo.
Und das kann seeeeeeeeehr unterschiedlich sein.
Und nicht nur das Tempo kann sich von sogenannten „normalen“ Entwicklungen unterscheiden, sondern auch die Art der Entwicklung an sich.
Diese kann zum Beispiel sehr unhomogen verlaufen.
Das heißt, manche Inhalte, die erst später „an der Reihe“ wären, sind früh da und andere Inhalte, „die doch schon längst gekonnt werden sollten….“ lassen auf sich warten.
Weiterhin kann der Weg, wie Dinge gelernt werden, ein anderer sein. Das bedeutet, dass möglicherweise völlig andere Methoden zum Einsatz kommen können, dürfen und sogar müssen, als das von der herkömmlichen Sichtweise aus der Fall wäre.
Doch zurück zum Thema: Wann war der späteste Sprachbeginn, den ich in meiner Arbeit erlebt habe?
Also:
Den spätesten Start in die Nutzung von unterstützter Kommunikation durfte ich bei einer 55 Jahre alten Klientin begleiten.
Den spätesten Start in die verbale Kommunikation zeigte eine 21-jährige Klientin.
Und den schnellsten und umfassendsten Start legte ein 11-Jähriger hin, der innerhalb von 3 Monaten von „0 auf lange Sätze“ durchstartete.
Jeder dieser Fälle war so besonders und komplex, dass ich ihnen auch noch einzelne Blog-Beiträge widmen werden.
Alle Fälle hatten jedoch eines gemeinsam:
Es trat jemand in das Leben dieser Menschen, der nichts für unmöglich hielt, sie angenommen hat mit allem, was sie zu bieten hatten, sich auf sie eingelassen hat und mit Ruhe, Geduld und Einfühlungsvermögen unverbindliche Kommunikationsangebote gemacht hat.
Zusammenfassend für heute lässt sich sagen:
Es gibt offensichtlich nicht „den“ spätesten Sprachbeginn. Auch ich lasse mich mal überraschen, welche Wunder ich in den nächsten Jahren noch so erleben darf.
Und wie so oft: Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Also: gebt euch Zeit und Ruhe!
Autismus ist bunt
Verabschiedet euch von Listen und Vorgaben. Bleibt flexibel und beobachtet gut.
Und zu guter Letzt:
Bleibt neugierig aufeinander!
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