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Janina Jörgens

Autismus und Boreout


Kind hat Langeweile


Boreout.

Unterforderung.

 

Chronische Unterforderung kann sogar Ursache eines Burnout sein… Denn chronische Unterforderung kann massiven Stress auslösen!

 

Klingt komisch? - Ist aber so…

 

So viele meiner kleinen Klienten beklagen sich, die Schule sei viel zu langweilig…

 

Dabei „funktionieren“ sie in der Schule nicht. Sie ziehen sich zurück, melden sich nicht, schwänzen oder stören den Unterricht, zeigen aggressives Verhalten. Da zieht so mancher Vergleiche zu anderen Kindern, die man schon mal beobachtet hat, die alle von der Schule und dem Lernstoff überfordert waren…

 

Bei neurodivergenten, autistischen Kindern kann das aber ganz andere Hintergründe haben!

Sie sind nicht vom Lernstoff, also den fachlichen Inhalten überfordert, sondern vom ganzen „Drumherum“, was Schule so mit sich bringt… Menschen, Geräusche, Gerüche, Zeitdruck, und so weiter.

 

Fachlich hingegen sind sie oft unterfordert. 

Nicht immer in allen Fächern, vielleicht nur in einem Fach.

 

Aber dieses eine Fach, in dem sie glänzen könnten - ohne Mühe - das würde ihnen so viel geben können!

Bestätigung, Anerkennung, Selbstvertrauen.

 

Aber eine individuelle Zuteilung von Aufgaben scheint in den meisten Fällen in unserem Regelschulsystem nicht umsetzbar…

 

 

Viele meiner Klienten beklagen sich. 

 

So sagte Finn, 9 Jahre, Asperger, PDA-Profil, hochbegabt einmal: „Ich möchte doch nur endlich Gehirnfutter!!! Sonst verhungert mein Gehirn noch! Vielleicht habe ich deswegen so oft Kopfschmerzen…“

Er ist in fachlicher Sicht in der Schule chronisch unterfordert, in emotional-sozialer Sicht allerdings hoffnungslos überfordert. Ihm droht der Schulausschluss. Sein Notendurchschnitt liegt aktuell bei 4,9. Sein IQ bei 148…

 

Hannah, 13 Jahre, Asperger, klagte: „Ich muss mich den ganzen Tag in der Schule so anstrengen, um vor Langeweile nicht einzuschlafen, dass ich im Kopf auf Reise gehe und Rätsel löse. Und ja - manchmal bekomme ich dann auch wichtige Sachen nicht mit, weil ich nicht rechtzeitig zurückkehren kann… Ich hoffe, dass ich in der Oberstufe endlich mal mein Gehirn auch fürs lernen anschalten muss…“

 

Florian wird ständig von seiner Lehrerin ermahnt: „Hör auf, die ganze Zeit herum zu zappeln.“, „Guck´ nach vorne!“, „Jetzt kommt dieses Fidget-Spinner-Ding weg - das stört mich…“.

Und Florian sitzt zwei Tage später weinend bei mir in der Therapie. „Was soll ich denn dann die ganze Zeit in der Schule machen?! Ich warte doch nur, bis die Zeit rum ist. Dort passiert nichts Neues, wir wiederholen alles 1000 Mal…!“

Diese Verzweiflung ist auch jeden Tag bei Florian zu Hause zu beobachten, wenn er verzweifelt über den Mathe-Hausaufgaben sitzt und es meist noch nicht einmal schafft, überhaupt anzufangen. 

Er kann nicht anfangen, weil ihm allein beim Blick auf das Aufgabenblatt körperlich übel vor Langeweile wird… 

Wiederholung ein und derselben Aufgabenstellung - wieder und wieder…. 

Dabei hat Florian das Prinzip „Multiplizieren von Brüchen“ bereits mit 5 Jahren im Kindergarten durch das Anschauen von YouTube-Videos begriffen…

 

 

Und meine erwachsenen Klienten geraten oft in berufliche Maßnahmen, die sie gnadenlos unterfordern.

 

Gerade mal 10% der Autisten sollen in fester Beschäftigung sein! Desaströs!

 

Arbeitslosigkeit gilt als einer der Hauptgründe für Depressionen…

 

Hier greifen gleich mehrere Teufelskreise ineinander.

 

Ein Beispiel:

Melina hat keinen Schulabschluss geschafft, weil sie ab der 9. Klasse die Schule nicht mehr besuchen konnte. Ihr Autismus machte Schule für sie zu einem höchst lebensfeindlichen Ort. Sie traf auf nicht sehr kooperative Lehrpersonen und nach mehreren Mobbing-Attacken brach sie zusammen, kam in eine Klinik und wurde vom Schulbesuch befreit.

 

Die Traumata saßen zu tief und Melina konnte auch im weiteren Verlauf keine Ausbildung zu einem erfolgreichen Ende bringen.

 

Sie wurde in verschiedenste Maßnahmen gesteckt - meist ohne dass im Vorfeld mit ihr besprochen wurde, wie sie am besten arbeiten könnte oder auch was ihr am meisten Freude bringen würde. Mit jeder abgebrochenen Maßnahme brach Melinas Selbstbewusstsein ein Stückchen mehr zusammen…

 

Schlussendlich landete sie in einer Gärtnerei, die ausschließlich Menschen mit Behinderungen einstellte. 

Hier topfte sie Setzlinge um. 

4 Jahre lang.

Mit einem IQ von 138…

 

Nun brach sie erneut zusammen, kam wieder in die Klinik und traf hier endlich auf eine Therapeutin, die erkannte, dass Melina nicht über- sondern unterfordert war…Sie stellte Melina einige Ideen vor, die für diese zunächst absolut utopisch klangen - ihre Augen aber zum leuchten brachten.

 

Mittlerweile holt Melina mit einer Integrationshilfe, die zu ihr nach Hause kommt, ihre Abschlüsse nach. Online. Und sehr erfolgreich. Das Abitur kann sie bald abschließen und ein Fernstudium zur Kauffrau im Gesundheitswesen steht an.

 

Bravo!

Nur - warum müssen diese Lebenswege so oft so schwierig, so schmerzhaft, so traumatisierend sein!? 

 

Ich versuche ja immer, irgendetwas Positives in den Geschichten zu finden…

Tatsächlich braucht es oft „nur“ eine einzige Person, die an das Potential in Menschen glauben, es entdecken und die Motivation erneut entfachen kann.

 

Wenn wir es schaffen, mit Artikeln wie diesem, Aufklärung voranzubringen und Interesse zu wecken, können wir vielleicht mehr solche Menschen erreichen und sie wachrütteln!

 

Also: bleibt dran und bleibt neugierig!

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