Notfallkommunikation: Textnachrichten und Emojis - ein Fallbeispiel
- Janina Jörgens
- 4. Nov.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 4. Nov.

Lena ist elf Jahre alt. Sie ist eine hochbegabte und hochsensible Autistin. Lena besucht eine Gesamtschule, ihre Noten sind sehr gut, sie möchte das Abitur machen und anschließend studieren.
Soweit so gut.
Aber: Lena maskiert in der Schule.
Sie möchte nicht auffallen, möchte andere nicht einschränken und vieles mehr.
So zeigt sie sich in der Schule als wissbegierige, kluge, eifrige, stille und unkomplizierte Schülerin. Das gesamte Lehrer- und Lehrerinnenkollegium ist von Lena hellauf begeistert.
Im Schulgespräch, in welchem wir über einen Nachteilsausgleich sprechen wollten, bekam die Mutter von Lena dann zu hören: „Na, wenn sie nur bei Ihnen zu Hause solche Schwierigkeiten macht, dann könnte das ja vielleicht auch an Ihnen liegen?“
Ich weiß, ihr, die ihr dies jetzt hier lest, schüttelt vermutlich grad den Kopf.
Die Schule hatte noch nie etwas vom Thema „Maskieren“ gehört. Der Schule war es absolut unvorstellbar, was die Mutter für Szenarien berichtete, wenn Lena von der Schule nach Hause kam.
Nach einem Schultag waren Lenas Ressourcen regelmäßig komplett aufgebraucht. Wenn sie nach Hause kam, ging dies eigentlich immer sehr lautstark vonstatten. Türen wurden zugeschlagen, die Schultasche mit viel Wucht in die Ecke geworfen, das Ganze meist begleitet von lautstarken Schimpftiraden.
Wenn Lenas Mama nun versuchte Zugang zu ihrer Tochter zu finden, indem sie sie fragte, wie denn der Tag gelaufen sei, ob es irgendwelche Vorfälle gegeben hätte, was sie nun für sie tun könne, ob sie Hunger habe etc., entwickelte sich Lenas Stimmung, so wie ein Feuer, welches man versucht, mit Öl zu löschen.
Das Schimpfen wurde lauter, wandte sich nun gegen die eigene Mutter, manchmal begann Lena sogar in ihrem Zimmer zu randalieren, teils ihre eigenen Spielsachen, Kleidungsstücke oder gar Möbel zu demolieren.
„Aber was soll ich denn machen?“, fragte Lenas Mama dann in der Therapie.
Tatsächlich zeigte Lena recht genau, was sie nach einem anstrengenden Schultag brauchte. Sie machte lautstark auf ihre Anwesenheit aufmerksam, ohne direkten Kontakt zu jemanden aufzunehmen. Sie ging sofort in ihr Zimmer, schloss die Tür und legte sich in ihr Bett.
Übersetzt könnte das heißen: „Bitte sprecht mich nicht an, wenn ich nach Hause komme, meine Batterien sind dann leer. Ich kann mich in dem Moment nicht mehr auf Smalltalk einlassen. Lasst mir bitte Freiraum und Zeit, um wieder zur Ruhe und zu Kräften zu kommen. Ich melde mich, wenn es mir wieder besser geht.“
„Wie? Also soll ich nichts tun? Aber wenn ich doch sehe, dass es meinem Kind nicht gut geht, dann kann ich doch nicht einfach nichts tun?!“
Auch die Bedürfnisse von Lenas Mama waren also absolut nachvollziehbar und die Idee, sich selbst für Lena als Safe Person anzubieten war sogar goldrichtig!
Aber verbale Ansprache war für Lena in solchen aufgeladenen Momenten viel zu viel.
Die Fragen ihrer Mutter waren für sie weitere Reize, die zu verarbeiten waren, Aufforderungen, denen es nachzukommen galt.
Wir besprachen gemeinsam, wie wir das Dilemma lösen könnten.
Ich erwähnte die Möglichkeit, dass Schriftsprache in solchen Momenten häufig sehr sehr gut helfen kann!
Briefe zu schreiben hätte in diesem Moment allerdings stets viel zu lange gedauert.
Mutter und Tochter einigten sich schließlich darauf, sich in emotional aufgeladenen Momenten Textnachrichten zu schicken.
Lenas Oma konnte es nicht fassen, als beide ihr von diesem Vorschlag berichteten.
„Wie bitte? Ihr schickt euch Textnachrichten, obwohl ihr beide zu Hause seid? Von einem Zimmer ins andere?“
Ja! Genau das war der Plan. Und es war ein prima Plan, wie sich im weiteren Verlauf zeigen sollte.
Wenn Lena nun nach Hause kam, konnte sie sicher sein, dass sie niemand ansprechen würde. Gleich am nächsten Tag gestaltete sich ihr Heimkommen bereits deutlich leiser. Sie öffnete die Tür, stellte die Schuhe an die Garderobe, hängte ihre Jacke auf, ging in ihr Zimmer, schloss die Tür, legte die Tasche beiseite, ging ins Bett und zog die Decke über ihren Kopf.
Erst eine Viertelstunde später schrieb ihre Mutter ihr auf das Handy eine Nachricht:
“Hallo mein Schatz. Schön, dass du wieder da bist. Heute Abend um 18 Uhr gibt es Nudeln.“
Keine Minute dauerte es, bis die Nachricht mit zwei blauen Häkchen versehen war. Lena hatte die Nachricht also gelesen.
Für Lenas Mama gingen 15 lange Minuten ins Land, bis eine Antwort auf ihrem Handy erschien.
Ein „ 👍🏼“.
Beide bemerkten direkt am ersten Tag, wie viel Entlastung in dieser doch recht einfachen Maßnahme lag.
Tatsächlich haben beide diese Art der Notfallkommunikation bis heute (sieben Jahre später) beibehalten.
Wie sieht das bei euch aus? Nutzt auch ihr - gerade in angespannten Situationen - gern Textnachrichten und/oder Emojis?
Bleibt neugierig








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