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Spät diagnostizierte autistische Männer und Therapie

Mann im Wartezimmer


Für spät diagnostizierte Männer ist es oftmals noch mal schwerer, die eigene Diagnose zu akzeptieren. Es fühlt sich an, als müsse man nun doch zugeben, dass man nicht immer unbedingt der Beste, der Stärkste, der Schnellste etc. sein könnte…

Plötzlich braucht man angeblich Hilfe, nun ist man auf einmal behindert, braucht Therapien…?

 

Wer möchte das schon gern zugeben - insbesondere in einer Gesellschaft, in der gerade vom männlichen Geschlecht stets Stärke, Souveränität, Aktionsbereitschaft, Wettkampf - eben unser westliches „höher, schneller, weiter-Prinzip“ vermeintlich gefordert wird.

 

Gerade bei spät diagnostizierten Männern erlebe ich es sehr oft, dass sie erst mit einer deutlichen zeitlichen Verzögerung zu ihrer Diagnose Hilfen wie Therapien oder Coachings für sich in Anspruch nehmen.

Oft wird die Diagnose zuerst abgestritten und sogar vor sich selbst verleugnet.

„Ich mag das kaum zugeben, aber ich habe erst angefangen, meine Diagnose anzuerkennen, als ich auf der Suche nach Gegenargumenten war. Ich hielt die Diagnose für eine absolute Fehleinschätzung! Ich wollte meinem behandelnden Arzt darlegen, warum ich auf keinen Fall Autist sein kann! Aber je mehr ich recherchierte, umso mehr fand ich mich in den Berichten wieder…“, berichtet Andreas.

 

Aber selbst, wenn nach und nach eine erste grundlegende Akzeptanz der Diagnose im eigenen Selbst ankommt - viele meiner Klienten versuchten zunächst auf eigene Faust ihren Weg zu finden.

 

Leider drängelt sich auch hier ein vermeintliches gesellschaftliches Männerbild vor die eigenen Bedürfnisse.

 

„In der Klinik wurde uns nahe gelegt, im privaten und beruflichen Bereich für Entlastung zu sorgen. Aber ganz ehrlich? Ich bin Familienvater! Ich bin bei uns der Hauptverdiener! Was soll denn meine Frau, meine Kinder, meine Schwiegereltern, meine Kollegen und Freunde - ach überhaupt alle - dann sagen, wenn ich auf einmal nur noch halbtags arbeiten gehen möchte?“, führt Andreas weiter aus.

 

Statt also herauszufinden, wo seine Bedürfnisse liegen und nach möglichen Anpassungen Ausschau zu halten, suchte Andreas nach Möglichkeiten, seine Leistungsfähigkeit zu steigern.

Er entwickelt einen Plan für sich, welcher sich an die allgemeinen (neurotypischen) Empfehlungen hielt, die er im Netz fand: Ernährung umstellen, mehr schlafen, Sport treiben, und so weiter.

Als sich der gewünschte Erfolg nicht einstellen wollte, recherchierte Andreas weiter, begann einige Nahrungsergänzungsmittel auszuprobieren. 

 

„Schlussendlich habe ich mich sogar auf ADhS testen lassen. Nicht, weil ich diese Diagnose aufgrund irgendwelcher Symptome bei mir vermutet hätte, aber überall hieß es, dass es Medikamente gibt, welche dort gut unterstützen können. Ich wollte partout nichts ändern in meinem Leben, ich wollte immer noch so sein, wie alle andern…“

 

Leider brauchte es tatsächlich einen zweiten Zusammenbruch und einen weiteren Klinikaufenthalt, bis Andreas Hilfen annehmen konnte.

Und auch die Art der Hilfen entwickelte sich schrittweise.

 

Zunächst nahm Andreas die künstliche Intelligenz zur Hilfe. Hier konnte er seine Fragen stellen, konnte sich in erste Ideen einlesen und diese für sich auf Tauglichkeit prüfen.

Hier war er erst mal anonym, musste sich niemandem offenbaren.

 

Im weiteren Verlauf meldete er sich bei einem Online-Stammtisch an, an welchem man anonym teilnehmen konnte.

 

„Tatsächlich hat mir dieser Stammtisch unglaublich geholfen! Zum ersten Mal sah ich andere Menschen, denen es ähnlich geht wie mir.“ Andreas lacht. „Ich ertappte mich bei dem Gedanken: Das können doch nicht alles Autisten sein? Die sehen doch ganz normal aus…“

 

Andreas begann, sich zunächst via E-Mail mit den anderen Stammtischteilnehmern und 

-teilnehmerinnen auszutauschen.

Hier erhielt er Ideen, warum individuelle Coachings und Therapien durchaus sinnvoll sein können und eben kein Zeichen von Schwäche darstellen. 

 

„Da sich keine freien Therapieplätze finden ließen, meldete ich mich schließlich zu einem Coaching an. Ich muss sagen, dass mir das wirklich gut getan hat und immer noch gut tut. Dort kann ich mich aktuell je nach Bedarf jederzeit melden und wir besprechen meine aktuellen Hürden.“ Er schmunzelt. „Und meine größte Hürde bin immer noch meistens ich selbst, beziehungsweise meine eigenen Glaubenssätze… - aber es ist doch schon gut, wenn ich das immerhin schon mal erkannt habe!“

 

Ein tolles Schlusswort, dem es kaum noch etwas hinzuzufügen gibt.

 

Nicht jeder und nicht jede, der oder die eine Autismus Diagnose bekommt, ist erleichtert. Häufig will man diese Diagnose zunächst einmal gar nicht wahrhaben. Auch das ist vollkommen normal und verständlich! Immerhin hat man sich ja sein gesamtes bisheriges Leben als „so wie alle anderen“ wahrgenommen.

 

Lasst euch Zeit, und geht behutsam mit euch um! 

Vor euch liegen vielleicht ganz neue Wege. 

Vielleicht müsst ihr sogar einige Grundsätzlichkeiten in eurem Leben anpassen! 

Vielleicht halten diese neuen Wege für euch, aber auch einige Wunder bereit...

 

Bleib neugierig!

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