„Sensory Seeker“ - „Reiz-Sucher“
Das sind die Menschen, die sich aktiv, oft auch starke Reize suchen.
Hier können ganz verschiedene Dinge beobachtet werden, z.B. mit den Fingern vor den Augen wedeln, möglichst vor einer Lichtquelle, mehrere Radios gleichzeitig laut im Zimmer laufen lassen, im Auto ganz laut Musik hören, von hohen Bäumen oder Treppen herunterspringen, sich schnell um sich selbst drehen, nur laufend unterwegs sein, sehr enge Kleidung tragen, sich selbst beißen oder kratzen, fest und schnell in die Hände klatschen, mit den Fingerknöcheln knacken, laut brummen, quietschen schreien, etc..
Häufig sind dies Menschen, die anscheinend kein Gefahrenbewusstsein haben. Es sind die, die so oft auffallen - als laut und/oder unruhig.
Autistische Wahrnehmung bedeutet nicht immer automatisch eine große Reizoffenheit und/oder ein fehlender Reizfilter.
Es kann genauso gut sein, dass zu wenig Reize ankommen. Das Erregungsniveau kann zu niedrig sein. Also braucht es (möglicherweise starke zusätzliche) Reize im Außen, um „angemessen" zu reagieren.
Das sind dann klassischerweise die Kinder, die dem Unterricht eher dann folgen können, wenn sie nebenbei etwas zum „fummeln“ haben oder einen kippeligen Stuhl, oder Ähnliches.
Hier heißt es dann oft seitens der Lehrerschaft: „Er kann sich nicht konzentrieren, weil er ständig kippelt oder mit etwas herumfummelt!“ - Nein! Das Gegenteil ist der Fall, er kann sich erst konzentrieren, wenn er kippelt und fummelt…
Es kann sein, dass starke Reize als Stimming dienen, manchmal auch um andere Reize zu überdecken. So wird z.B. möglicherweise gegen Straßenlärm angebrüllt oder ein unangenehmer Hautreiz, wie z.B. eine zu reichhaltige Creme weggekratzt - so lange, bis die Stelle blutig ist.
Auch hier sind alle im System aufgefordert, nach möglichen helfenden und geeigneten Alternativen Ausschau zu halten, denn nicht immer werden die Gefahren, die in starken Reizen liegen, erkannt und es kommt möglicherweise zu - oft unbeabsichtigtem - selbstverletzendem Verhalten.
Oder es handelt sich um Verhaltensweisen, die man selbst als störend empfindet, wenn man sich im öffentlichen Raum befindet, die man dann vielleicht lieber unterdrücken oder zumindest umlenken möchte.
Ja, hier sind wir im Bereich des Maskierens… Aber als bewusste Methode kann Maskieren ja durchaus sinnvolle und gute Eigenschaften haben!
Und es ist völlig in Ordnung, wenn jemand für sich entscheidet: „Ich möchte in der Öffentlichkeit nicht durch (z.B.) „rumhüpfen“ auffallen!“
Zunächst können wir also versuchen zu beobachten, welche Art der Reize gesucht werden.
Optische, akustische, taktile, vocale, olfaktorische, gustatorische, thermale, soziale Reize… alles ist möglich.
Weiter können wir nun Alternativen überlegen.
Was bedient den gesuchten Reiz, ist aber weniger schädlich / gefährlich oder weniger auffällig oder einfach „praktischer“.
Einer meiner Klienten geriet regelmäßig in Verzweiflung, wenn er keine geeignete Lichtquelle finden konnte, z.B. an einem bewölkten Tag auf dem Schulhof. Dann funktionierte seine Beruhigung über Fingerflattern-vor-den-Augen nicht… Er erhielt eine Taschenlampe, mit der er eine helle Fläche anleuchten und dann die Taschenlampe ganz schnell an- und ausschalten konnte. Perfekt!
Beim Suchen und Finden von Alternativen ist erst einmal jede Idee erlaubt - wie beim klassischen Brainstorming! Erst mal: alles sammeln! Aussortieren kann man später.
Glücklicherweise gibt es mittlerweile ganz tolle Fidget-Toys, die die verschiedenen Bereiche bedienen können.
Manchmal sind es aber auch Alltagsgegenstände, die einen tollen Effekt haben können, wie z.B. einfache Haargummis. Die können hervorragende Alternativen darstellen, wenn jemand z.B. starke Hautreize sucht. Oder einfach etwas, um „nervöse“ Finger zu beschäftigen. ;-)
Nach 25 Jahren Arbeit mit Autisten haben sich in meinem Repertoire unglaublich viele Ideen angesammelt, aus denen ich nun mit vollen Händen schöpfen kann, wenn wir in Beratungen, Coachings und Therapien auf Alternativen-Suche gehen. Und jeden Tag kommen neue hinzu!
Sucht euch aus den gefundenen Ideen die 3 heraus, die ihr aktuell für am besten haltet.
Und die werden nun getestet.
Ich empfehle meist ein „Nacheinander“, also immer nur eine Alternative und die dann aber über mehrere Tage oder gar Wochen.
Denn auch an diese Alternativen muss man sich erst einmal gewöhnen und meist stoßen sie nicht von Beginn an auf uneingeschränkte Begeisterung. Manchmal haben die Alternativen nicht direkt den gewünschten und bekannten Effekt, manchmal fällt man zunächst immer noch in die alten, bekannten und bewährten Verhaltensweisen zurück. Normal!
Daher: Gebt den neuen Ideen und Alternativen eine reelle Chance!
Bleibt neugierig!
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