Warum ein Hausbesuch nicht immer die beste Lösung ist
- Janina Jörgens
- 22. Apr.
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 23. Apr.

„Wenn Sie oder Ihr Kind das Haus nicht verlassen können, dann können wir auch gerne zu Ihnen nach Hause kommen!“
Vermutlich - also hoffentlich - ist dieses Angebot durchaus nett gemeint.
Vielen meiner autistischen Klientinnen und Klienten ist es nicht oder nur sehr schwer möglich, das Haus zu verlassen. Für viele ist soziale Interaktion unfassbar kraft- und energieraubend.
Wenn nun aber Hilfen, wie zum Beispiel eine Therapie in Anspruch genommen werden sollen, kommen örtliche Angebote oftmals an ihre Grenzen.
Die meisten Therapeuten arbeiten in Praxen, Jugendamtsmitarbeiter/Innen in ihren Büros.
Wenn nun Klienten, Patienten, oder/und ihre Angehörigen nicht zu Ihnen kommen können, bieten viele auch Hausbesuche an.
Für autistische Menschen kann sich ein Hausbesuch jedoch womöglich noch schlimmer anfühlen, als die Anforderung, das Haus verlassen zu müssen.
Denn das eigene Zuhause ist der Safe Space. Alles ist vertraut: die Menschen, die Möbel, Geräusche, Gerüche etc.
Hier ist es sicher, hier gibt es eine Tür, die man verschließen kann, verschließen vor der oftmals so überwältigenden Außenwelt.
Dieser Safe Space ist der Rückzugsort, der Ort, an dem ein überlastetes Nervensystem wieder zur Ruhe kommen kann.
Hier gibt es kaum soziale Anforderungen, insbesondere keine in Bezug auf fremde Menschen. Hier ist ein eigener Rückzug nicht komisch oder zeitlich begrenzt. Hier dürfen Kopfhörer getragen, die Rollläden heruntergezogen oder den ganzen Tag Jogginghosen getragen werden.
Hier hinterfragt niemand eine eingeschränkte Mimik, plötzliche motorische Ausbrüche oder Hilfsmittel, die eventuell als nicht altersentsprechend angesehen werden.
Wenn nun plötzlich fremde Menschen diesen Ort betreten, dann bringen Sie fremde Geräusche, Gerüche und jede Menge Anforderungen mit.
Diese Geräusche, Gerüche und auch Emotionen bleiben für hochsensible Menschen gefühlt oft stunden- wenn nicht tagelang in den Räumen hängen.
Das eigene Zuhause fühlt sich kontaminiert an und ist möglicherweise nicht mehr als Safe Space zu gebrauchen.
Es sollte im Vorfeld sehr behutsam abgewogen werden, ob ein Hausbesuch solche Folgen rechtfertigt.
Immer wieder bespreche ich mit meinen Klientinnen und Klienten, wie wichtig es ist, eigene Kosten-Nutzen-Rechnungen aufzumachen.
Wie viel Kraft, Energie, Zeit und Aufwand kostet mich eine Situation im Gegensatz zu dem Nutzen, den sie mir bringen könnte.
Wenn der Zahnarzt einen Hausbesuchstermin anbietet und ein Zahn bereits seit einiger Zeit schlimme Schmerzen verursacht, was hierdurch behandelt werden kann, dann kann dies eine gute Idee sein.
Wenn jedoch „nur“ eine Begutachtung stattfinden soll, zum Beispiel im Rahmen eines Hilfeplangespräches, dann ist zu überlegen, ob es nicht andere Möglichkeiten gäbe, wie zum Beispiel ein Online-Meeting.
Im Online-Meeting können die Klient/Innen sich zu jeder Zeit zurückziehen, sie können an einem ihnen vertrauten Ort verbleiben und dieser Ort ist auch nach dem Gespräch wieder als Safe Space zu interpretieren und zu nutzen.
Wie geht es euch mit Hausbesuchen? Erlebt ihr diese Angebote als Erleichterung oder sogar eher als Bedrohung?
Wenn Hausbesuche für euch nicht möglich sind, seid offen, kooperativ und transparent und sprecht diese Problematik an. Möglicherweise lassen sich andere für euch akzeptable Möglichkeiten finden.
Bleibt neugierig.
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