Schule ist für neurodivergente Menschen ein wahrhaftig herausfordernder Ort!
So viele Sinneseindrücke in teils überwältigender Stärke und Vielzahl, sich einander überlagernd.
Kaum Rückzugsmöglichkeiten.
Und das alles vor ganz vielen Anforderungen wie „Du musst“, „Du solltest“ und „Du darfst nicht“…
Doch was genau kann für einen z.B. autistischen Menschen eine Barriere im Schulalltag sein?
Nun, schauen wir uns mal ein paar dieser möglichen Hindernisse an.
Menschen
Klar, denn wo Menschen sind, sind auch jede Menge soziale Anforderungen, unsichtbare Regeln, die einem niemand wirklich und verbindlich erklärt, manchmal gar nicht erklären kann… (Schaut hierzu gern nochmal im Blog-Artikel „Verstecktes Curriculum“ nach)
Gerüche
Viele Menschen bedeuten automatisch viele Gerüche. Besonders intensiv bei Regenwetter oder auch an sehr warmen Tagen.
Besonders herausfordernd hier sind dann auch die Kantine oder die Mensa, die Toiletten, Sporthallen oder Umkleidekabinen.
Zeitdruck
Schnelle Raumwechsel, 5-Minuten-Pausen (Was soll man da schaffen???), Umkleidestress vor und nach dem Sport, in einem vorgegebenen Zeitrahmen einen bestimmten Schulstoff erlernen, vorgegebene Zeiten für Klassenarbeiten, Hausaufgaben, etc.
Räume
Räume in der Schule sind häufig groß. Somit sind sie leider auch oft hallig, unübersehbar und es passen viele Menschen rein - da wären wir wieder beim Punkt: Menschen…
Geräusche
Viele Menschen, große Räume… Also auch meist eine laute Geräuschkulisse. Jeder macht Geräusche und der Lehrer versucht diese womöglich noch zu übertönen… Stellen wir uns nun jemanden mit einer Reizfilterschwäche vor, der selbst leiseste Geräusche hört (z.B. das Surren von Deckenleuchten oder technischen Geräten im Standby-Modus) und diese dann zeitgleich und gleich intensiv wie alle anderen Geräusche - ohne die Möglichkeit, Wichtiges von Unwichtigem filtern oder gar ausblenden zu können.
Pausenhof / Pausensituation
Ein unübersehbares Gewimmel an (schon wieder) Menschen. Keine klaren Strukturen. Mitunter fehlt es an genügend Aufsichtspersonen, die Sorge vor Mobbing etc. kann groß sein.
Essen
An manchen Schulen darf kein Essen von zu Hause mitgebracht werden. Und selbst wenn doch, schmeckt Essen aus der Brotbox häufig nicht. Der Schulstress mit all seinen Anforderungen schlägt einem womöglich zusätzlich auf den Magen, so dass einem der Appetit vergeht. Womöglich besteht eine große Scham / Angst / Unsicherheit vor und mit anderen Menschen zu essen. Nicht zu vergessen die mitunter starken Gerüche in Mensa, Kantine und Co..
Temperaturen
Oft ist es schwierig, in Klassenräumen oder Sporthallen eine optimale Temperatur zu erreichen oder zu halten. Oft sind die Räume entweder überheizt und stickig oder aber zugig und zu kalt - oder beides in stetem, unvorhersehbarem Wechsel.
Kleidung
Selbst wenn es in Deutschland selten Schuluniformen gibt, so gibt es dennoch sehr oft „Kleidervorschriften“, wie z.B. ein Verbot von Jogginghosen. Was aber tun, wenn Jeanshosen einfach nicht zu ertragen sind???
Optische Herausforderungen
Das Gewimmel vieler Menschen, hektische Bewegungen, bunte Kleidung, Spiegelungen von Fenstern oder Bodenbelägen, zu helle Beleuchtungen, Blendungen der Sonne…
So viele optische Reize, bis der Blick endlich die Tafel oder das Whiteboard erreichen könnte….
Nun ein kleines Beispiel einer ganz alltäglichen Situation:
Lara und Melissa, 2 Freundinnen, müssen den Klassenraum wechseln, denn die nächste Stunde findet im Physiksaal statt. Zum Glück ist gerade eine 5-Minuten-Pause, dann ist es nicht ganz so eilig. Das passt gut, denn sie wollen vor der nächsten Stunde noch kurz auf die Toilette.
So weit, so gut und vor allem „normal“.
Nun mal aus der Sicht von Lara (Autistin):
Lara und Melissa, 2 Freundinnen, müssen den Klassenraum wechseln. Situationswechsel (Habe ich an alles gedacht? Alles eingepackt? Gab es Hausaufgaben? Habe ich die richtig notiert?) + Raumwechsel (Wo müssen wir hin? Na, zum Glück ist Melissa bei mir) + Zeitdruck (Hoffentlich kommen wir nicht zu spät) + Small Talk + lange Gänge + viele andere Mitschüler, die ebenfalls die Räume wechseln, alle quatschen, kreischen, lachen, denn die nächste Stunde findet im Physiksaal (groß + hallig + kalt + geruchsintensiv) statt. Zum Glück ist gerade eine 5-Minuten-Pause (die gesamte Schülerschaft strömt aus den Klassenräumen, Gedränge und eine wahnsinnige Geräuschkulisse), dann ist es nicht ganz so eilig (naja…). Das passt gut, denn sie wollen vor der nächsten Stunde noch kurz auf die Toilette (Gedränge, denn die anderen Schüler haben die gleiche Idee, Gerüche von Toilettenbedürfnissen über Parfüm, Deo, Körpergerüchen bis Zigarettenqualm von den Oberstufenschülern, lautes Türenknallen, Wasserrauschen, Quatschen, Türenquietschen…).
Puh… und das wäre nur die Situation eines Raumwechsels… Immerhin musste Lara nicht noch herausfinden, was evtl. eine Lehrperson ihr in all dem Sinnes-Durcheinander an wichtigen und womöglich prüfungsrelevanten Themen vermitteln wollte.
Wenn wir nun also einen autistischen Schüler oder eine autistische Schülerin nach dem Schultag fragen: „Na, wie war die Schule?“, dürfen wir uns eigentlich nicht wundern, wenn wir keine oder eine genervte Antwort erhalten, denn: Wo sollte man da anfangen zu erzählen?
Viele der autistischen Kinder und Jugendlichen können gar nicht benennen, was für sie den größten Stress in der Schule auslöst, denn sie sind den Tag über so damit beschäftigt, allen Anforderungen so gut es geht zu entsprechen, dass gar kein Raum für eine solche Reflektion bliebe…
Dieses sind dann womöglich Inhalte für eine Therapie oder eine Beratung / Coaching. Dann begibt man sich gemeinsam auf die Suche nach Stressoren, um den Schulalltag so angenehm wie möglich zu gestalten.
Nicht, weil es so einfach netter ist - sondern, damit die Kinder und Jugendlichen das tun können, wozu sie in der Schule sind: Lernen.
Autismus ist unsichtbar, das Leiden, was die vielen Barrieren verursachen (und die hier aufgeführten sind ja noch lang nicht alle) manchmal sogar auch, gerade wenn wir hier auf Personen treffen, die sehr gut maskieren können…
Und dennoch können diese Barrieren einen erfolgreichen Schulbesuch unmöglich machen.
Und nein, ein „Stell dich nicht so an, Schule ist nun mal so. Die anderen schaffen das ja auch irgendwie!“ hilft da gar nicht.
Findet euren individuellen Weg!
Bleibt neugierig!
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