„Es tut weh, wenn ich anderen in die Augen schaue. Es ist wie ein ganz schlimmes Brennen…!“
Für viele Autisten ist Blickkontakt außerordentlich unangenehm und tatsächlich wird er von vielen sogar als schmerzhaft empfunden.
Wenn man sich den Aufbau des Gehirns mal anschaut, fällt auf, dass die Areale für Blickkontakt und für Schmerzempfinden unglücklicherweise tatsächlich ganz nah beieinander liegen.
Nachgewiesenermaßen, feuern die Neuronen von Autisten in einer vielfach erhöhten Rate. Es ist also kaum verwunderlich, wenn da auch mal einige „Schüsse“ ihr Ziel verfehlen. Dieses neuronale Feuerwerk hat ja auch seine Vorteile, wenn wir z.B. die schnelle Auffassungsgabe von manchen Autisten betrachten, das Vermögen, Sachverhalte schnell auf vielfältige Weise und tiefgründig miteinander in Beziehung zu setzen, „im Großen Ganzen zu denken“.
Blickkontakt ist sehr „herausfordernd“ für Menschen, denen die sozialen Regeln nicht automatisch geläufig sind, wie es bei vielen Autisten der Fall ist.
Diejenigen, die Blickkontakt halten (können), machen das meist „nicht einfach so“, wie neurotypische Menschen das tun.
Sie haben gelernt, dass es erwünscht ist, andere Leute bei einem Gespräch anzuschauen. Also gehen sie über ihre eigenen Grenzen und versuchen, sich hier anzupassen.
Manche suchen sich einen Punkt im Gesicht in der Nähe der Augen, so dass es so aussieht, als ob sie in die Augen schauen würden - in Wahrheit schauen sie möglicherweise knapp daran vorbei. So wird den Ansprüchen Genüge getan, aber man kann sich selbst ein wenig schonen.
Zudem sind sie ständig in Gedanken parallel zum Gespräch damit beschäftigt, alle unausgesprochenen Regeln des „in die Augen Schauens“ zu berücksichtigen - immer in der Hoffnung, keinen Fehler zu machen.
Denn da gibt es unglaublich viele Fallstricke!
Zunächst muss man wissen, wem man da gerade gegenübersitzt, denn danach richten sich viele der Regeln.
Sitze ich jemand Unbekanntem in der Bahn gegenüber? Oder meinem Vorgesetzten? Meinen Eltern? Meinem besten Freund? Meinem Lebensgefährten?
Dann ist die aktuelle Situation zu berücksichtigen.
Sind beide gerade in Urlaubsstimmung? Befinden sich die Gesprächspartner in einem Streitgespräch? Besteht zwischen beiden womöglich gerade eine romantische Stimmung? Ist dies womöglich eine Stress-Situation auf der Arbeit?
Es gilt abzuwägen
Wie lange der Blickkontakt bestehen bleiben soll.
Wie lange die Pausen zwischen verschiedenen Blickkontakten sein darf.
Wie intensiv der Blickkontakt sein soll.
Wie der Blick zu sonstiger Mimik und Gestik passt.
Wohin man in Blickkontakt-Pausen schauen kann.
Wann wieder Blickkontakt aufgenommen werden sollte.
Usw.
Denn selbst wenn man sich dazu entschließt, die Sache mit dem Blickkontakt anzugehen… Das ist gar nicht mal so einfach…
Gerade in den Anfängen bekommt man dann gern zu hören:
„Was guckst du so komisch?“ (uh - ok, Blick-Art war wohl unpassend)
„Warum starrst du mich so an?“ (Mist - zu lange geguckt!)
„Hallo, hörst du mir zu?“ (oh Mann…. Zu spät zurückgeguckt…)
„Es ist unhöflich, andere Menschen so anzugucken.“ (? Ich dachte…, es wäre unhöflich, das nicht zu tun…???)
So viele Fragen, so viele unausgesprochene Regeln, so viele Möglichkeiten, Fehler zu machen…
Da wundert es nicht, dass viele Autisten sagen: „Ich kann mich entweder auf das Gespräch einlassen oder Blickkontakt halten. Beides zusammen überfordert mich meistens.“
Es mag Menschen, die neurotypisch veranlagt sind, tatsächlich komisch vorkommen, aber Blickkontakt ist eine wirklich kniffelige Angelegenheit und muss erst mal geübt werden - wenn man es denn üben möchte!
Denn: wenn Blickkontakt tatsächlich schmerzt, dann wäre es deutlich netter, wenn das Gegenüber diesen Umstand akzeptieren könnte und nicht weiter auf diese Art der Höflichkeit bestehen würde.
In diesem Sinne: Bleibt neugierig aufeinander.
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