Die Sommerferien sind schon seit ein paar Wochen vorbei… Und so langsam macht sich eine gewisse Routine im „normalen“ Alltagsablauf breit. Die Stundenpläne der Schulen haben sich gefestigt, die Nachmittage sind angepasst organisiert. So weit so gut.
Allerdings nutzt sich auch der anfängliche Enthusiasmus ab. Die neue Schule ist nicht mehr nur neu, sie offenbart mehr und mehr auch ihre Anforderungen - die Zeit des Kennenlernens ist vorüber: Nun wird gearbeitet!
Gerade neurodivergente Schüler und Schülerinnen sind aber mit ihrer individuellen Kennenlern- und Anpassungsphase noch lange nicht fertig!
Sie haben eben erst die neuen Abläufe und Herausforderungen erkannt, finden sich eben erst in den neuen Räumlichkeiten zurecht…
Jetzt kristallisieren sich langsam die Fragen heraus, die sich neurotypische Kinder oftmals gar nicht stellen, die aber für Autisten, ADHS´ler, Hochsensible vielleicht überhaupt nicht selbstverständlich sind…
„Das versteckte Curriculum“
Was bedeutet das?
Das Curriculum ist einfach übersetzt: der Lehrplan.
Was wird unterrichtet.
Wer unterrichtet.
Was sind die Inhalte und Themen der einzelnen Fächer.
Das ist meist recht klar. Diese Informationen werden irgendwo niedergeschrieben, sind nachlesbar.
Was aber bedeutet nun „verstecktes Curriculum“?
Das sogenannte „versteckte Curriculum“ beinhaltet lauter Dinge, die meist als selbstverständlich vorausgesetzt werden, die nirgendwo aufgeschrieben sind, die auch meist nicht erläutert werden. Denn: sie sind selbstverständlich. Also… für die meisten…
Das sind die Dinge, die die neurodivergenten Kinder jeden Tag aufs Neue vor große Herausforderungen stellen.
Ich höre in diesen Tagen und Wochen immer Fragen von meinen Klienten, wie diese:
„Wann kann ich mein Pausenbrot essen?“
„Muss ich mit fremden Kindern spielen?“
„Was ist „mündliche Mitarbeit“?
„Wann darf ich in der Schule auf Toilette gehen?“
„Wann soll ich anfangen, meine Sachen einzupacken?“
„Darf mein Tischnachbar meine Sachen einfach so anfassen?“
„Wann muss ich was aufschreiben?“
„Wie soll ich andere Kinder in der Pause ansprechen?“
Es treten die ersten Unstimmigkeiten, Missverständnisse und Schwierigkeiten auf:
„Die Klasse ist so laut - ich kann mich nicht konzentrieren.“
„Die Pause ist so anstrengend…“
„Meine Lehrerin mag mich nicht.“
„Ich hasse Hausaufgaben!“
„Die Kinder lachen mich aus!“
All dies sind Inhalte des verstecken Curriculums.
Niemand sagt einem 10-jährigen Schüler, wann er sein Pausenbrot zu essen hat… In der Grundschule gab es womöglich noch eine „Frühstückspause“. In der weiterführenden Schule organisieren sich die Kinder dahingehend selbst. Sie beobachten sich untereinander, ahmen die anderen nach - es ergibt sich… Aber eben nicht für alle Kinder…
Nirgendwo steht geschrieben: Wenn deine Lehrerin zur Uhr schaut und dann Dinge sagt wie: „So…“ oder ihre Bücher schließt, bedeutet das, dass es vermutlich gleich zum Unterrichtsende klingeln wird. Dann kannst du schon mal deine Bücher, Hefte und Stifte langsam zusammenpacken, damit du es im Anschluss pünktlich zum nächsten Klassenraum oder zum Schulbus schaffst.
Erst die Berichte von „anstrengenden Pausen“, „gemeinen Lehrern“ oder „auslachenden Kindern“ bringen uns erste Ideen, dass möglicherweise Handlungsbedarf besteht. Nun sind wir im System gefordert zu überlegen, wo Anpassungen und/ oder Alternativen möglich sind, damit sich die Kinder nicht aus Überforderung irgendwann aus dem schulischen Alltag ausklinken…
Und überfordert sind sie oftmals nicht in erster Linie vom „normalen“ Schulstoff, sondern vielmehr vom gesamten „Drumherum“.
Wir dürfen ihnen mit offenen Ohren und offenem Herzen zuhören, wenn sie von der Schule berichten. Wir sollten „zwischen den Zeilen lesen“. Und wir müssen ihre Sorgen, Ängste und ihren Unmut ernst nehmen!
Je länger wir uns und unsere Kinder versuchen zu beruhigen mit Worten wie: „Du schaffst das schon.“, „Da gewöhnst du dich noch dran!“, „Warte mal ab, das ergibt sich von selbst!“ umso mehr Zeit verstreicht, in der wir möglicherweise schon nach Hilfen hätten Ausschau halten können.
Wenn wir die Sorgen unserer Kinder nicht ernst nehmen, bleiben sie in ihrer Not sich selbst überlassen. Auch wenn es sich für uns nach „Kleinigkeiten“ anhört, sollten wir uns immer wieder deutlich machen, dass es sich für unsere Kinder vielleicht ganz und gar nicht um Kleinigkeiten und Selbstverständlichkeiten handelt und sie sich eben wirklich nicht mehr selbst zu helfen wissen.
Ich habe immer wieder beobachtet, dass die Kinder erst von Problemen berichten, wenn es für sie selbst wirklich Probleme darstellen.
Zunächst versuchen sie immer, diese Dinge selbst zu klären und aufzulösen.
Um die Kinder auch weiter in ihrer Selbstwirksamkeit zu stärken, suche ich auch immer mit ihnen gemeinsam nach möglichen Lösungen, lasse sie an dem Weg teilhaben und auch die letzte Entscheidung versuche ich stets in ihre eigenen Hände zu geben.
Haltet die Ohren und die Herzen offen und findet euren besten Weg!
Bleibt neugierig aufeinander!
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