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Janina Jörgens

Hemmt der Einsatz von Symbolen die Sprachentwicklung?


Kind in Therapie


Ich arbeite nun seit über 25 Jahren mit Menschen mit Autismus und deren Familien, 20 Jahre davon als Sprachtherapeutin mit Schwerpunkt „unterstützte Kommunikation“.

 

Aus dieser Erfahrung heraus kann ich sagen: nein!

 

Ich habe in all den Jahren nicht einen Klienten erlebt, der nicht gesprochen hätte, obwohl er es gekonnt hätte!

 

Der Grund ist denkbar einfach:

Verbale Sprache ist schnell und effektiv.

 

Sobald die Kinder in die verbale Sprache gefunden hatten, nutzten sie die Symbole nicht mehr oder nur noch zur Unterstützung oder in Notfällen.

Solche Notfälle können z.B. Situationen sein, in denen man sich nicht so leicht „zu Wort melden“ kann. Z.B.  in einer sehr lauten Umgebung (Bahnhof, Schule…), in Gesprächen mit vielen Gesprächspartnern (Schule, Familie…) oder zu schwierigeren Themen, die emotional sehr fordernd oder fachlich komplex sind.

Ein Notfall kann auch auftreten, wenn die Person in eine Sprachblockade gerät. Wenn z.B. ein Overload oder ein Meltdown dazu führen, dass einem „die Worte fehlen“.

 

Wenn die Sprachentwicklung später als üblich einsetzt, wird in der Sprachtherapie oftmals die Nutzung von Symbolkarten angeboten.

Und häufig wird dann die sorgenvolle Frage gestellt: „Ja, aber ruhen sich die Kinder dann nicht darauf aus, dass sie nicht mehr sprechen müssen und erlernen es dann womöglich nie?“

 

Ganz klares : Nein! 

Wenn sie sprechen können (physisch und psychisch), dann werden sie es tun.

 

Vielleicht wählt man seine Gesprächspartner weiterhin sehr genau aus und spricht einfach (noch) nicht mit jedem… vielleicht bevorzugt man weiterhin eine leise Stimme und meldet sich nicht zu jedem Thema ungefragt zu Wort, vielleicht wird man auch kein großer Bühnenredner… 

 

Dennoch hat bislang jeder nichtsprechende Mensch, den ich begleiten durfte, seine verbale Sprache genutzt, wenn und sobald er dazu in der Lage war.

 

Dennoch bleiben Symbolkarten als Notfallhilfe oftmals in der Jackentasche erhalten. 

Und häufig war und ist es so, dass die Notfallkarten, sobald man sie angefertigt hat, nicht mehr benötigt werden. ;-) Tatsächlich nimmt das Wissen, dass man für den Notfall gewappnet wäre, soviel Druck aus manchen Situationen, dass man sie leichter und störungsfreier durchleben kann.

 

Ich würde Menschen, die (noch) nicht in ihre verbale Sprache gefunden haben, jede mögliche andere Alternative zur Kommunikation anbieten.

Denn so können wir auch (noch) nicht sprechende Menschen in die Teilhabe bringen, in ihre Selbstwirksamkeit. So können sie zunächst einmal den Nutzen von Kommunikation überhaupt erkennen und schätzen lernen. 

Wenn man erst mal erlebt hat, wie schön es ist, wenn man seine eigenen Bedürfnisse so zum Ausdruck bringen kann, dass man Hilfe erfährt, dann will man mehr davon… es darf gern noch schneller gehen!

Wer findet es nicht gut, wenn seine Wünsche zuverlässig erfüllt werden?

Und schneller geht es über das „normale“ Sprechen. 

Da braucht man weder Karten noch Talker und auch niemanden, der den Einsatz solcher Hilfsmittel toleriert und versteht. Man kann alles sagen und ist nicht darauf angewiesen, dass genau das gewünschte Symbol auch zur Verfügung steht. Und man muss nicht hoffen, dass der Akku genügend geladen ist…

 

Die Flexibilität, die die verbale Sprache bietet, ist einfach unschlagbar.

 

Ich habe es also eher umgekehrt erlebt.

Der Einsatz von Kommunikationsalternativen wie Symbolen, Gesten, Gebärden oder Talkern hemmt die Sprachentwicklung nicht - es fördert sie eher.

 

Zunächst muss erst der Sinn von Kommunikation entdeckt werden (z.B. ganz basal Bedürfniserfüllung). Wenn verbale Sprache physisch und psychisch nichts entgegensteht… dann erleben wir häufig Kinder, die „von 0 auf 100“ sofort in Mehrwortsätzen sprechen.

 

Und wenn es doch eine Barriere gibt, z.B. eine sehr große Sprechangst, Mutismus oder Sprachblockaden aufgrund von Overload, Meltdown oder einer Sozialphobie - wie gemein wäre es, demjenigen dann Kommunikation generell vorzuenthalten und keine alternativen Methoden anzubieten.

 

Also: Keine Angst vor dem Einsatz von Kommunikationsalternativen!!!

Sie helfen nur! Sie verhindern nichts!

 

In diesem Sinne: Bleibt neugierig aufeinander!

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