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Janina Jörgens

"Herausforderndes Verhalten" - Aktion oder Reaktion?


Kind ist wütend


„Herausforderndes Verhalten“… Ich möchte dringend dazu anregen, hier endlich mal eine neue und bessere Begrifflichkeit zu finden!

 

„Herausforderndes Verhalten“ klingt nach: „Der/Die fordert mich mit ihrem Verhalten heraus!“

 

Das mag sich auch tatsächlich so anfühlen… Dies wäre dann eine bewusste Aktion meines Gegenübers, der mich mit seinem Verhalten ärgern möchte oder zumindest irgendeine Reaktion bei mir provozieren möchte…

Das kann sein - ist aber in den meisten Fällen nicht so…

 

Viel häufiger ist das sogenannte „herausfordernde Verhalten“ tatsächlich eine Re-Aktion auf unpassende und herausfordernde Umstände.

 

Nicht der Autist fordert jemanden durch sein Verhalten heraus.

Die Umwelt fordert den Autisten heraus.

 

Es ist unglaublich laut, voll, stinkig, bunt, sozial…

 

Und niemand nimmt Rücksicht auf diejenigen, denen das einfach zu laut, zu voll, zu stinkig und zu sozial ist….

 

Erste Hilfegesuche werden nicht wahrgenommen, erste Hilferufe verhallen ungehört.

 

„Ach komm, ist doch nicht schlimm!“, „Schau mal, der Junge geht doch auch auf die Wasserrutsche!“, „Nun nimm die Sonnenbrille ab – es ist nicht zu hell…“, „Hey, bleib hier!“

 

Jeder Mensch versucht, in Sicherheit und möglichst angenehm zu leben. Niemand würde sich wundern, wenn man schnellstmöglich ein brennendes Haus zu verlassen versucht. Da ruft niemand: „He! Wo läufst du hin? Bleib hier! Es gibt doch gleich essen…!“

 

Kaum jemand würde fröhlich ins Löwengehege spazieren, nur weil der Pfleger da ja auch gerade drin ist…

 

Wenn jemand versucht, für sich zu sorgen, indem er zu starken Reizen oder Anforderungen versucht zu entgehen oder versucht, sich eine dringend nötige Pause zu verschaffen - dann sollte die Umwelt dies einfach akzeptieren.

 

Ja - natürlich muss darauf geachtet werden, dass kleine Kinder oder Menschen mit einer nicht so guten Orientierung, nicht blindlings weg- oder gar auf eine Hauptstraße laufen!

 

Ein Stimming sollte nicht einfach toleriert werden, wenn man dabei ein selbst- oder fremdverletzendes Verhalten beobachtet!

 

Klar!

 

Aber wenn ein Mensch Hilfe braucht - dann tut er das nicht, um mich zu ärgern!

 

Er braucht Hilfe!

 

Und nur weil eine neurotypische Wahrnehmung Reize besser filtern und tolerieren kann, sind die Nöte, die Erschöpfung, die Angst und Panik eines Menschen mit einer Neurodivergenz für diesen keinesfalls weniger real!!!

 

Ich kann schwimmen! Und dennoch würde ich jemandem, der im Kinderbecken um Hilfe ruft und um sich strampelt zu Hilfe kommen! Ich würde nicht sagen: „Jetzt stellen Sie sich mal nicht so an! Da ist es nicht tief!“

 

Es gibt erste Versuche, den Begriff „herausforderndes Verhalten“ durch „bedürfnisorientiertes Verhalten“ zu ersetzen… Aber auch das klingt für mich nicht richtig. Es klingt für mich zu „weichgespült“.  À la: „Es ist mein Bedürfnis, gerade auf dem Sofa zu sitzen.“

 

Hier wird die Not in der Notwendigkeit, die einem solchen Verhalten meist zugrunde liegt, nicht deutlich.

 

Also: Wer hat Ideen für eine bessere Begrifflichkeit an dieser Stelle?

Ich bin neugierig auf eure Ideen!

Bleibt neugierig aufeinander! Und seid füreinander da!

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