Es ist mal wieder Zeit für eine Anekdote…
Ich erzähle euch heute von Till, 14 Jahre alt, Asperger.
Till war ein „Drinnen-Kind“.
Wie viele neurodivergente Kinder hielt sich Till am liebsten in seinem Zimmer auf. Dies war sein „Safe Space“, sein Rückzugsort, seine Wohlfühlzone.
Für ihn perfekt klimatisiert, insektenfrei, ohne störende, fremde Menschen, dunkel und alles Wichtige wie essen, trinken, Magnetspielzeuge, Spielekonsole und Bett in Reichweite.
Nach der Schule konnte Till hier am besten entspannen und Kraft für den nächsten Tag sammeln.
So weit so gut…
Seine Mutter schüttelte zwar oft den Kopf, wenn draußen das schönste Wetter alle Kinder aus der Nachbarschaft nach draußen lockte und Till auf Nachfrage nur den Kopf schüttelte und sich wieder seinen Interessen zuwandte.
Schwierig wurde es, wenn Tills Mutter das Zimmer staubsaugen wollte.
Till selbst war leider ausgesprochen lärmempfindlich und insbesondere das Geräusch des Staubsaugers war für ihn geradezu unerträglich.
Da Tills Mama an den Vormittagen, an denen er in der Schule war, selbst arbeitete, lagen hier verschiedene Bedürfnisse im Nachmittag vor…
Till wollte nicht zur Nachbarin, Till wollte nicht selbst saugen, Till wollte nicht zur Mittagsbetreuung in der Schule bleiben…
„Himmel! Dann geht halt auch mal raus!“, sagte seine Mutter schließlich genervt, schob ihm die Schuhe hin und öffnete die Haustür.
Ein lauwarmer Frühlingstag schien durch die Tür, auf dem Spielplatz in Sichtweite spielten einige Kinder, die Bänke im Park waren noch zum Teil frei.
Till schaute seine Mutter fragend an und schlüpfte in seine Schuhe.
„Geh raus, es ist schönes Wetter. Ich brauche ja auch nicht lange!“
Sie bugsierte ihren Sohn liebevoll vor das Haus, schloss die Tür und machte sich an die Aufräumarbeiten.
Nach eineinhalb Stunden wollte sie nachschauen, wo Till sei. Er hatte sich die ganze Zeit nicht gemeldet, so war sie neugierig, welche Beschäftigung er für sich draußen entdeckt hatte. Sie hatte die Wohnung auf Vordermann gebracht und gar nicht auf die Zeit geachtet.
Sie öffnete die Tür…
… und rannte direkt in ihren Sohn!
„Till! Warum stehst du hier direkt hinter der Tür?“
„Du hast gesagt, ich soll raus gehen.“
„Äh - ja.. aber… hast du jetzt die ganze Zeit hier gestanden?“
„Ja.“
…
Till fehlte jegliche Idee, was er „draußen“ machen sollte. Seine Mutter hatte nicht erläutert, dass mit „Geh mal raus.“ auch hätte gemeint sein können „Geh mal in den Park, spazieren.“, oder „Schau mal auf dem Spielplatz, welche Kinder da sind.“, oder „Setz dich auf eine Bank und beobachte die Spatzen im Gebüsch.“, oder Pokemon Go, oder Geocatching…
Till ging nach draußen und wartete - schließlich war er ja nun draußen.
Und, was lernen wir daraus?
Vieles, was wir vielleicht als selbstverständlich annehmen, ist gar nicht so selbstverständlich.
Wenn ihr euch nicht sicher seid, ob euer Gegenüber mit eurem Vorschlag etwas anfangen kann, diesen „richtig“ verstanden hat - fragt am besten nochmal nach!
Macht Vorschläge so konkret wie möglich, stellt verschiedene Alternativen zur Auswahl, verbringt erst mal gemeinsam Zeit „draußen“ - und entdeckt, was euch dort Spaß macht.
Schreibt euch die Aktivitäten, die euch besondere Freude machen, vielleicht sogar auf. So geraten sie bis zum nächsten „Ausflug“ nicht in Vergessenheit und ihr habt bei einem Anflug von Langeweile oder „Ich weiß nicht, was ich machen soll!“ gleich ein paar Ideen zur Hand und müsst nicht erst lang überlegen und ausprobieren.
Bleibt neugierig.
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