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Janina Jörgens

Kinder-Wahrnehmung im Hier und Jetzt


Kinder beobachten Schnecken


Warum kommt das Kind auf einem Spaziergang einfach nicht voran?

Warum will Elena nicht am gemeinsamen Esstisch an den Mahlzeiten teilnehmen?

Warum bleibt Kim mitten auf der Straße stehen und starrt auf den Asphalt?

 

Kinder nehmen ihre Umwelt noch ganz anders wahr, als wir Erwachsene. Sie sehen, riechen, hören, fühlen viel mehr Dinge… Nicht unbedingt nur deshalb, weil ihre Sinnesorgane noch „gut“ funktionieren…

 

Sie haben noch mehr Platz in ihrem Kopf und ihrem Herzen für die Wunder der „alltäglichen“ Welt.

 

Im Gegenzug können sie aber auch viele Reize (noch) nicht einordnen, fühlen sich dann womöglich unsicher oder gar verängstigt - und das durchaus auch bei vermeintlichen „Kleinigkeiten“ oder „Selbstverständlichkeiten“.

 

Wir, als Erwachsene, leben oft nicht mehr im „Hier und Jetzt“. 

Auf einem Spaziergang haben wir ein Ziel und unser Sein ist auf Zukünftiges gerichtet. Sei es das kleine Bistro, in dem wir eine Einkehr machen wollen oder den Zweck des „sich Bewegens“. 

Das Kind hingegen wird an jeder erdenklichen Stelle überwältigt von bunten Blättern, einem kühlen Wind, einem zwitschernden Vogel, einem glänzenden Marienkäfer, einem schön geformten Schneckenhaus, von der Frage nach der Geschichte hinter der einzelnen Vogelfeder am Wegesrand.

All dies bemerken wir leider oft kaum, ziehen die Kinder weiter - physisch oder mit Worten. „Nun komm schon!“

 

Das Abendessen wollen wir im Kreise der Familie einnehmen. So möchten wir zumindest einmal am Tag als Familie zusammenkommen und uns zum Beispiel über die Ereignisse des Tages austauschen. 

„Ist das denn zu viel verlangt!???“ 

Nein… oder vielleicht doch…?

 

Die Erwachsenen wollen sich austauschen - über Vergangenes, eben den vergangenen Tag. Das kann man praktischerweise mit dem Abendessen verbinden… Essen muss man ja sowieso und essen an sich ist ja auch nicht so spannend, da kann man ja gleich mehrere Dinge miteinander verbinden…

Nur Elena macht das Vorhaben zunichte, weil sie partout nicht mit der Familie zusammen am Esstisch sitzen und essen möchte.

 

Oder nicht kann…

 

Denn für Elena sind das definitiv zu viele Reize auf einmal… 

Der Geruch des Essens, die Geräusche im eigenen Kopf beim Kauen, das Klimpern, Kratzen und Quietschen von Besteck und Geschirr, die verschiedenen Geschmäcker und Konsistenzen, die sich in ihrem Mund versammeln, über allem das Stimmengewirr - was von den Themen ist für sie wichtig und was nicht, wann ist sie gefragt und muss vielleicht reagieren… - und dann war da doch noch das Puzzle, was sie eigentlich gerade fertig machen wollte…

Für Elena ist ein gemeinsames Abendessen womöglich eine einzige Zerreißprobe…

 

Und Kim? Kim bleibt regelmäßig auf einmal stehen - auch mitten auf der Straße…

Ja, das ist gefährlich und das kann man nicht ignorieren.

Aber man kann es versuchen zu verstehen.

Was tut Kim da?

Bei genauerem Beobachten fällt auf, dass Kim mitunter auch Gangunsicherheiten zeigt, insbesondere, wenn sich der Bodenbelag optisch ändert.

Kim braucht länger, um optische Reize zu verarbeiten. Wenn also plötzlich ein Schatten über den Boden huscht oder ein Lichtreflex blendet, schaut Kim erst einmal ganz genau nach, woher das Phänomen da gerade gekommen ist. 

Auch optisch unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten müssen erst einmal in Ruhe geprüft werden, denn Kim ist häufig unsicher, ob sich diese optische Differenz womöglich auch auf die sonstige Beschaffenheit auswirkt. Also, lieber erst mal stehen bleiben und überlegen, ob man den eigenen Gang nun anpassen muss oder ob man „einfach so“ weiter gehen kann…

Ähnlich, wie viele Menschen optische Täuschungen erleben - so fühlt es sich für Kim Tag für Tag an.

„Kim! Nun komm schon! Warum bleibst du dauernd stehen? Beeil dich! Die Ampel wird gleich rot!“

Ja, wir haben es vielleicht eilig, aber Kim bräuchte gerade etwas Zeit… 

Zeit im Hier und Jetzt. Kim ist der Termin im Kindergarten egal, etwas mehr Zeit in dieser Situation würde aber vielleicht zu deutlich mehr Sicherheit in dieser unsicheren Welt bedeuten…

 

Und wisst ihr was? Manchmal käme uns vielleicht ein wenig mehr „Hier und Jetzt“ auch zugute… ;-)

 

In diesem Sinne:

Bleibt neugierig aufeinander.

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