Immer reden die Menschen davon, wie großartig es ist, wenn man sein Hobby zum Beruf machen kann - denn dann müsste man ja gefühlt nie wieder arbeiten.
Warum also erleben wir es auf der anderen Seite dann immer wieder, dass Autisten systematisch von ihren Spezialinteressen abgebracht werden???
„Verkriech dich nicht in deinem Schneckenhaus!“ - hört Marie immer wieder, wenn ihre Mutter hereinkommt und sieht, wie Marie malend an ihrem Schreibtisch sitzt.
Was ist gegen Malen einzuwenden??? Ich bewundere jeden Menschen, der toll malen kann!
„Jetzt komm endlich vom Computer weg!“ - so die Standartbegrüßung von Steves Mama, sobald sie sein Zimmer betritt.
Steve ist 14 - sein Berufswunsch Informatik… Ich finde es prima, wenn Steve sich schon so gut in die digitalen Welten einarbeitet. In der Schule hat er in der Corona-Zeit seinen Lehrern regelmäßig geholfen, indem er in den Lockdown-Phasen das Homeschooling gerettet hat, da er schnell den Fehlerquellen auf die Spur kam.
„Aus „im Wald sitzen“ können wir leider keinen Beruf machen.“ Das war die recht unempathische Antwort eines „Berufsberaters“ an Tom… Ich war bei dem Termin dabei und fragte nach, wie es denn aussieht mit Förstern, Baumpflegern, Tierschützern, etc..
„Im echten Leben bringt es dir nichts, wenn du alle Fahrpläne auswendig kannst…“, sagte Martins Mama zu ihrem damals 12-jährigen Sohn (frühkindlicher Autist), der lieber im Bahnhof bleiben wollte, als den geplanten Ausflug in den Zoo zu begleiten.
Martin arbeitet heute (10 Jahre später) an einem Informationsschalter der deutschen Bahn…
Spezialinteressen werden oft akribisch verfolgt. Von außen mag das mitunter wunderlich aussehen, aber für den Betroffenen selbst sind genau diese so wichtig - und hilfreich!
Dem eigenen Spezialinteresse nachzugehen kann eine Art von Stimming sein. Derjenige ist dann fokussiert und kann störende Außenreize besser ausfiltern. So kann man für sich selbst eine „Ruhe-Insel“ im herausfordernden Alltag in der neurotypischen Welt erschaffen.
Die Beschäftigung mit einem Spezialinteresse führt zu einem gewissen „Expertenstatus“, der ggf. bewundernswert ist. D.h. derjenige wird in seinem speziellen Wissen oder seinen Fähigkeiten ggf. gelobt, anerkannt, gewürdigt - ganz im Gegensatz zu den Anfeindungen und Missbilligungen in anderen Lebensbereichen, wo derselbe Mensch möglicherweise schon jahre- und jahrzehntelang immer wieder eine Abwertung erfahren musste. „Du kannst das nicht!“, „Dein kleiner Bruder kann das schon viel besser!“, „Meine Güte, das kann doch nicht so schwer sein!“ - all das mag für vermeintliche „Kleinigkeiten“ in der neurotypischen Welt sogar stimmen – aber im Bereich des Spezialinteresses ist das endlich mal ganz anders.
Wenn es gelingt, aus dem eigenen Spezialinteresse einen Beruf zu machen, dann erleben wir möglicherweise Menschen, die nicht nur mit einem sehr guten Expertenwissen glänzen können. Wenn man sich mit seinem Spezialinteresse beschäftigt, wird man gefühlt auch nie müde!
Warum also nicht einfach seinem Spezialinteresse folgen?
Unsere heutige Zeit hat so viele bunte Möglichkeiten. Es gibt so viele neue Berufe! Längst muss man nicht mehr zwingend den Beruf der Eltern ergreifen, man muss sich nicht entscheiden zwischen Lehrer, Maurer, Arzt…
Es gibt so viele Möglichkeiten im Bereich der digitalen Medien, so viele Nischen, die noch nicht besetzt sind.
Ja, auch hier braucht man vielleicht erst mal eine gute Portion Kreativität und muss sich gedanklich vielleicht weit „out of the box“ lehnen - aber es kann sich lohnen! ;-)
Ich bin der festen Überzeugung, dass die hohen Arbeitslosenzahlen und damit verbundenen Leidenswegen (Abhängigkeiten, Minderwertigkeitsgefühle, etc.) bei den Autisten eigentlich unnötig sind!
Macht euch mal auf eine kreative Ideen-Suche… welches Potential liegt möglicherweise in euren Spezialinteressen?
In diesem Sinne: Bleibt neugierig! Auf euch selbst und aufeinander!
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