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Janina Jörgens

Sensorische Innensichten


Blumenwiese


„Wie fühlt es sich denn an, wenn man mit solch einer tollen, außergewöhnlichen Wahrnehmung ausgestattet ist!?“

 

Hmm…

 

Kommt ganz drauf an…

 

Kommt darauf an, ob man gerade etwas Angenehmes wahrnehmen darf oder etwas Unangenehmes wahrnehmen muss.

 

Kommt darauf an, ob man mit seiner Wahrnehmung allein ist.

 

Kommt darauf an, wie die Umgebung auf mich mit meinem Sinnessystem reagiert.

 

 

Also, wenn ich z.B. Rosendüfte riechen kann, die außer mir niemand wahrnimmt, ist das schön.

Nun, zumindest im ersten Moment. Denn dieser zarte Duft ist wirklich schön, füllt den Begriff „schön“ absolut aus.

 

Wenn ich allerdings verzückt an Blumen schnuppere und als Kind womöglich ungeduldig weitergezerrt werde („Boah… jetzt komm schon… wir haben nicht ewig Zeit! Du bist wie der Hund von Nachbarn…“) fühlt sich das gar nicht mehr gut an.

Dann habe ich das Gefühl, nicht richtig zu sein, komisch. Mir wird vorgeworfen, mir etwas einzubilden, meine Sinne werden in Frage gestellt, abgetan. „Da riecht nix!“

 

Und wenn ich Unangenehmes wahrnehmen muss? Nun, entweder ist es auch für die mich umgebenden Menschen unangenehm, dann erhalte ich zumindest etwas Bestätigung… Allerdings nehme ich auch diese unangenehmen Eindrücke womöglich deutlich intensiver wahr, als alle anderen Menschen um mich herum. Womöglich wird mir vom Essensgeruch aus der Mensa übel, oder ich bekomme eine Panikattacke, weil über uns ein Düsenflieger hinweggeflogen ist. Das war den anderen zu laut - ich liege vielleicht mit schreckgeweiteten Augen zusammengekrümmt im Gebüsch… und werde schlimmstenfalls noch ausgelacht…

 

Richtig schwierig wird es, wenn ich Dinge als unangenehm empfinde, die anderen Menschen Freude bereiten. Partys, „mal quatschen“, „shoppen gehen“. Wie erkläre ich mich? Wie kann ich mich da rauswinden, ohne zu sehr zum Außenseiter zu werden…

 

Superhelden sind oft einsam… Das muss nicht immer selbst gewählt und auch nicht immer schön sein.

 

Die meisten meiner Klienten wünschen sich Freunde. Und zwar solche, mit denen man sich einfach gut versteht, mit denen man auf einer Ebene ist.

 

Also habe ich als neurodivergenter Mensch entweder Glück, jemanden mit einem ähnlich ausgerüsteten Nervensystem zu treffen oder jemanden, der mich so sehr mag und akzeptiert, dass auch meine Besonderheiten einfach „da“ sein dürfen.

 

Ich selbst habe von meiner Hochsensibilität erst im späteren Erwachsenenalter erfahren. 

Bis heute kann ich oft nicht einschätzen, ob ein Geruch auch für andere Menschen riechbar oder ein Geräusch auch für andere Menschen hörbar ist…

 

Mittlerweile frage ich dann nach. 

Ich frage nach, weil ich ein neugieriger Mensch bin, aber auch, weil ich Menschen um mich herum habe, die mich so akzeptieren, wie ich bin. 

 

Dafür bin ich unendlich dankbar!

 

Ich bin auf einmal nicht mehr „zimperlich“, „ein Sensibelchen“, „zart besaitet“. Die Menschen um mich herum wissen meine „feinen Antennen“ mittlerweile sehr zu schätzen.

Wenn ich heutzutage stehen bleibe und schnuppere oder um Ruhe bitte, weil ich etwas höre, wird dies nicht mehr abgetan oder übergangen. Hier hat sich in der Vergangenheit bereits mehrfach bewiesen, dass solche Momente wichtig sein können (Stichwort: schmorende Mehrfachsteckdose hinterm Schrank). 

 

Als Kind wusste noch niemand groß Bescheid über Phänomene wie eine erhöhte Neurosensitivität mit all ihren Vor- aber auch Nachteilen.

 

Ich war häufig genervt von der Welt und den Menschen darauf. 

Genervt, weil niemand den Dauerstress erahnte, dem ich mit der ständigen Reizüberflutung ausgesetzt war.

Genervt, weil gefühlt niemand Rücksicht nahm. („Warum kümmert sich keiner um das Quietschen der Thermoskanne!?“ Nun, es hat wohl niemand gehört…)

Genervt, weil ich mich egal wie sehr anstrengen konnte und dennoch nicht soviel schaffen konnte, wie die anderen. (Nachmittags noch Freunde treffen, Kindergeburtstag, Sportverein? Pfffft)

Genervt, von dem häufigen „Ach, was du immer hast!“, „Da ist doch nichts.“, „Das ist nicht kalt.“…)

 

Meine Mama hat dann immer beruhigend mit mir gesprochen und mich liebevoll ermahnt, ich solle mit den anderen Menschen behutsamer umgehen - sie können halt nicht anders…

Das war zwar auch nicht vollumfänglich befriedigend, denn: „Warum muss immer ich die sein, die Rücksicht nimmt!?“, aber es hat mir die Augen geöffnet.

 

Mittlerweile habe ich meine Wahrnehmung zum Teil meines Berufes gemacht.

Wenn ich in den Klassenräumen meiner Klienten sitze, weiß ich recht schnell, wo das Ablenkungspotential liegt…, wenn meine Klienten verstimmt zu einem Termin erscheinen, kann ich die Gefühlslage selbst spüren und wir können schnell den Grund herausfinden, was nicht stimmt oder ich kann klar sagen, an welchen Tagen man sich gegenseitig wieviel zumuten kann und wann eben nicht.

 

Auch die beliebten Rundgänge während Seminaren in therapeutischen Praxen sind immer wieder ein Highlight. Dann lasse ich alle Mitarbeiter durch ihre Räume gehen und ganz bewusst schauen, riechen, spüren. Denn insbesondere in den Räumen, in denen man sich Tag für Tag aufhält, nimmt man vieles gar nicht mehr wahr… Neurodivergentes Klientel dagegen reagiert auf genau diese Reize vielleicht sehr stark.

 

Ich bin neugierig, wieviele Situationen mir noch begegnen werden, in denen ich feststelle, dass andere Menschen deutlich anders wahrnehmen, als ich selbst.

Ich werde immer weiter fragen…

 

Ihr bitte gern auch!

Bleibt neugierig!

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