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Janina Jörgens

Sprachbeginn mit 11 Jahren - Von 0 auf 100...

Aktualisiert: 27. Juli


Kind mit Mikrofon in der Hand


Als Tarek bei mir zur Sprachtherapie angemeldet wurde war er 11 Jahre alt. Auf der Anmeldung stand: frühkindlicher Autist, kognitive Einschränkungen, nicht sprechend.

 

Seine Mutter kam zum Erstgespräch allein. Sie ahnte, dass Tarek sonst schnell überfordert wäre, nicht so lange aushalten könne und außerdem, wie sie mir gegen Ende der Stunde offenbarte, wollte sie sich die Praxis und die Therapeutin zunächst erst mal selbst anschauen und sich ein Bild machen.

Hier schwang sehr deutlich mit, wie viel die Familie und nicht zuletzt Tarek selbst offensichtlich in den vergangenen 11 Jahren schon erlebt hat - und leider war dies scheinbar nicht viel Gutes… wie so oft.

 

Tarek hatte zunächst, wie andere Kinder auch, mit dem Sprechen begonnen, erste Worte ca mit dem ersten Lebensjahr. Bis zum 3. Jahr sprach er kurze Sätze mit 2-3 Worten, häufig recht stereotyp und von der Stimmlage eher monoton. 

Dann stellte er nach und nach das Sprechen ein und verlegte seine Kommunikation aufs zeigen und führen, d.h. er nahm seine „Gesprächspartner“ an der Hand und führte sie zum gewünschten Gegenstand oder Ort. 

 

Tarek war ziemlich clever in der non-verbalen Vermittlung seiner Wünsche und seine Familie kam recht gut mit dem Umstand zurecht. Dennoch war der größte Wunsch, dass er endlich wieder sprechen möge.

 

Er hatte auch in den letzten 3 Jahren bereits Logopädie erhalten, zunächst in der Schule und später in einer Praxis.

Dort war man „spezialisiert“ auf Autisten. So wie Tareks Mama das betonte, waren die Anführungszeichen bei „spezialisiert“ sogar sehr deutlich hörbar…

 

Die „Spezialisierung“ bezog sich vorwiegend auf den Umstand, dass es in der Praxis ein Extra-Therapiezimmer gab, welches „reizarm“ eingerichtet war und in dem die Therapiestunden mit autistischen Kindern stattfanden.

 

Nun ist gegen reizarm nichts einzuwenden… Allerdings handelte es sich um ein Zimmer mit weißen Wänden, einem weißen Tisch und 2 weißen Stühlen.

 

 

Punkt. Sonst nichts…

 

 

Als ich fragte, worüber sich die beiden dann unterhalten hätten, zuckte Tareks Mama die Schultern.

 

Mal ehrlich… worüber unterhält man sich als Kind mit einem fremden Menschen in einem Raum mit keinem Gesprächsgegenstand? Worüber soll man da ins Gespräch kommen? Was soll den Anreiz geben?

 

In meinem Therapiezimmer damals waren die Möbel weiß, Accessoires grün. Es stand ein grüner Sonnenschirm in einer Zimmerecke, darunter ein weißes Sofa mit grünen Kuschelkissen , eines davon in Smileyform ;-), mit einer großen Bücherkiste daneben.

Verschiedene Schränke beherbergten diverseste Materialien zum spielen, basteln, musizieren. Ein großer Korb mit Stofftieren stand auf der anderen Seite des Zimmers. Man konnte mit Decken Buden bauen und darin mit der Taschenlampe Bücher lesen, Geschichten erzählen oder was auch immer.

 

Tareks Mama lächelte, als sie mein Zimmer betrat und sagte: „Hier wird er sich wohl fühlen - er liebt grün!“

OK - das war ein perfekter Zufallstreffer! ;-)

 

 

In der Folgewoche kam Tarek mit, betrat ohne zu Zögern das Zimmer, schaute sich einmal um und stöberte dann in aller Ruhe erst mal durch die Bücherkiste. Mama und ich beobachteten ihn aus den Augenwinkeln und erledigten derweil „Bürokratisches“.

 

Auf einmal kam Tarek zu uns und legte ein Buch auf den Tisch. Eine Fußballgeschichte. Er schob das Buch auf meine Seite - offensichtlich hatte er etwas mitzuteilen.

Mama übersetzte: „Ah! Super! Tarek liebt Fußball!“ 

 

Prima! Damit hatte ich meinen Ansatzpunkt! Fußball!

Also organisierte ich in den folgenden Tagen und Wochen alles rund um das Thema Fußball und bot diese Dinge nach und nach in Tareks Therapiestunden an. 

Und Tarek war selig.

 

Bereits in der nächsten Therapiestunde schob er seine Mama aus dem Zimmer, er wollte meine Aufmerksamkeit ganz für sich allein. ;-)

Und die bekam er!

 

Ich bot zu Beginn Symbolkarten mit den Begriffen „nochmal“ und „fertig“ an und unterstützte dies mit Gesten.

Tolle Tipp-Kick-Männchen waren sein Anreiz. Immer und immer wieder sollte ich die Männchen schießen lassen! Nochmal!!! Und nochmal!!! Und nochmal!!!

 

Die Geste für „nochmal“ nutzte Tarek ein- oder zweimal. Zwei oder drei weitere Male zeigte er auf die Karte für „nochmal“.

Gegen Mitte der Einheit hörte ich dann bereits das erste „moma!!!!“ für „nochmal“! 

 

Es war eine der Sternstunden in meiner Arbeit!

 

Ich hatte fast den Eindruck, dass es bislang für Tarek einfach keinen guten Grund gab, Sprache zu nutzen…

Jetzt allerdings dauerte ihm die Geste oder das Zeigen der Karte einfach viiiiiel zu lang! 

„Moma“ ging deutlich schneller!

 

Dieser erste Meilenstein ging wirklich ungewöhnlich schnell! Und Tareks Weg war noch lange nicht zu Ende! 

Doch dazu in einem anderen Beitrag mehr!

 

Bis bald!

Und bleibt neugierig! ;-)


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