Nun, ich arbeite seit über 20 Jahren mit Autisten - einfach weil es meine Lieblingsmenschen sind. 😊
So oft war da‚ eine gemeinsame Basis‘, die ich nicht erklären konnte und die sonst nicht zustande kam… es schien fast wie ein Rätsel…
Vor ca 4 Jahren stolperte ich über den Begriff ‚Hochsensibilität‘ und begriff viele Dinge für mich.
‚Ah! Es gibt noch mehr Menschen, denen es so geht wie mir?!‘
Ich durfte erkennen, dass es für hochsensible Menschen in Ordnung ist, sich zurückzuziehen, da sie einfach mehr Rückzug und mehr Pausen brauchen. Ich bekam Erklärungen dafür, dass dies kein Zeichen von Schwäche ist. Denn tatsächlich hatte ich mich auch nie als ‚schwach‘ empfunden.
Und ich verstand, warum ich verstand… ich bekam eine Idee, warum ich so schnell mit meinen Klienten ‚auf einen Nenner kam‘, warum ich selbst bei nonverbalen Klienten rechtzeitig erkennen konnte, warum es Ihnen vielleicht z.B. gerade schwer fällt, ruhig zu sitzen…
Bereits als Kind hatte ich meine eigenen Erklärungen, was in autistischen Menschen los sein könnte…
Vor 40 Jahren waren Diagnosen wie ‚Autismus‘ und ‚ADHS‘ noch nicht im Alltag angekommen. Aus heutiger Sicht würde ich den ein oder anderen meiner damaligen Kindergarten- und Schulkameraden recht sicher im Spektrum sehen. Schon damals hatte ich die Theorie, dass die vermeintliche ‚Gefühlskälte‘ so nicht stimmt! Ich vermutete, dass dies ein Schutz sein könnte, ein Schutz vor einem ‚Zuviel‘ an Gefühlen….
Naja- heute haben viele Dinge einen Namen bekommen und ich lerne stetig neue, großartige Theorien und Ansätze kennen, die ich seit Kindheit einfach lebe 😊.
‚Low arousal‘, ‚intensive Interaction‘, etc.
Zurück zur Ausgangsfrage: Warum ‚Authentisch autistisch‘?
Weil ich überzeugt bin, dass wir Menschen besser zusammen funktionieren, wenn wir authentisch miteinander umgehen. Dass wir auch besser für uns selbst funktionieren, wenn wir authentisch sein dürfen. (Oder um eine Zitat auf einem Songtexten der Fantastische 4 zu bemühen „alles ist gut, was man gerne tut“)
Ich habe Dipl. Heilpädagogik studiert und erst mal 23 Jahre als Sprachtherapeutin gearbeitet, 20 Jahre davon selbstständig in eigener Praxis mit mehreren Therapeutinnen.
Meine Patienten sollten ja etwas lernen, etwas Hilfreiches von mir mitbekommen, bestenfalls für sich übernehmen. Aber wann gelingt mir selbst das am besten? Wenn ich mein Gegenüber mag, wenn ich ihm vertraue und wenn ich ihm glaube! Wenn mein Gegenüber authentisch ist!
Ich hatte so gut wie nie die Schwierigkeiten, von denen Kolleginnen so oft berichteten… ‚Keinen Bock‘, ‚unentschuldigtes Fehlen‘, ‚keine Hausaufgaben gemacht/ nicht geübt‘…
Ich hätte ab und an gern mal Pausen durch ‚Ausfälle‘ gehabt! 🤣😅 Gab es aber nicht… 🤷🏻♀️💚 Im Gegenteil… manchmal musste ich die Eltern mit ihren Kindern wieder nach Hause schicken, wenn sie mit dicker Erkältung und Fieber in der Praxis ankamen. ‚Es tut mir leid! Er wollte unbedingt kommen!!!‘, erklärten dann die Mütter. Ich bedankte mich von Herzen dafür, fühlte mich sehr gewertschätzt, erklärte den Patienten dann aber in Ruhe, warum es besser ist, zu Hause zu bleiben, wenn man krank ist (Selbstfürsorge, InRuhegesundwerden, Fremdschutz, Infektionsgefahren etc) - und dann war das auch ok! 💚
Auch umgekehrt konnte ich mich ‚leichter‘ krankmelden - denn es wurde immer verständnisvoll akzeptiert.
Wenn ich mal auf der Arbeit Kopfschmerzen hatte, müde war oder es mir irgendwie nicht gut ging, habe ich das den Patienten sofort mitgeteilt - und selbst die ansonsten größten Rabauken waren dann ganz vorsichtig und rücksichtsvoll im Umgang mit mir.
Wenn ich meinen Patienten Hilfestellungen und Übungen an die Hand gab, war es für mich selbstverständlich immer zu erklären, warum ich dieses oder jenes gerade mache und warum ich es für eine gute Idee halte. Logischerweise haben wir manchmal diskutiert, ob nun dies oder das gerade angezeigt, sinnvoll und hilfreich ist. Ja, auch mit 3- oder 4-jährigen habe ich - natürlich altersentsprechend - solche Diskussionen geführt. ;-) So habe ich ganz großartige Einblicke in die Gefühlswelten meiner Patienten bekommen und konnte viele ihrer Entscheidungen auch absolut nachvollziehen. Tatsächlich fanden wir aber immer gute Kompromisse. „Wir machen das später.“ „Wir machen kleinere Schritte“ „Wir erstellen eine Auswahl an Möglichkeiten, aus der wir dann aussuchen können, was gerade passt.“
Ein funktionierendes, stressfreies Geben und Nehmen war die Folge.
Authentizität war für mich also schon immer ein wichtiger Punkt in meinem Leben.
Menschen, die ich als nicht authentisch empfinde, komme ich intuitiv auch nicht gern näher.
Und Autisten waren schon immer die authentischsten Menschen für mich. Hier gibt es kein Verstellen, hier gibt es die ungeschminkte und machmal auch schmerzhafte Echtheit pur und unverfälscht.
Tatsächlich empfehle ich vielen meiner jugendlichen und erwachsenen Klienten auch „authentisch autistisch“ zu sein. Ich erläutere, dass das Maskieren zwar hilft, im Alltag unter neutrotypischen Menschen nicht so sehr aufzufallen - aber eigentlich immer auf Kosten der Autisten geht… Im schlimmsten Falle führt dies zu Burnout, Depressionen - im schlimmsten Fall Suizidgefährdung…
Und ja, leider kann ich auch hier in Teilen authentisch berichten…
Autismus ist auch heute noch nicht in den Köpfen der großen Mehrheit angekommen, in Institutionen wie Kindergärten, Schulen, Universitäten leider auch noch nicht. „Inklusion“ bleibt häufig ein Wort auf Papier, eine vielleicht tolle Idee - „aber hier leider nicht umsetzbar….“
Ich möchte das ändern! Möchte Verstehen lernen helfen.
Authentisch autistisch soll nicht nur Wissen verbreiten. Ich möchte, dass die Menschen über die reinen Fakten hinaus wirklich begreifen, was „Neurodiversität“ bedeutet.
In meinen Seminaren mit Erziehern, Therapeuten und Lehrern mache ich z.B. die Wahrnehmungsbesonderheiten und damit einhergehenden Erlebnissen sehr eindrücklich erlebbar. Oft verließen die Teilnehmer die Seminare tatsächlich erschrocken über ihre eigenen Erkenntnisse und Erlebnisse. Sie riefen mich Tage, Wochen oder auch Monate später an und berichteten, wie sie ihre Erkenntnisse in ihren Arbeitsalltag einfließen lassen konnten und was sich seitdem bewegt hat - großartig!
Und solche Erlebnisse möchte ich nun gern unabhängig von Zeit und Ort zur Verfügung stellen. Erkennen und Verstehen möglich machen, um neurodiversen Menschen ein glückliches und erfülltes Leben in der neurotypischen Welt zu ermöglichen.
Denn ich bin überzeugt davon, dass auch die neurotypische Welt sehr von den neurodiversen Menschen profitieren kann! Da liegen so viele bislang meist unentdeckte und dadurch ungeborgene Schätze!
In diesem Sinne!
Bleibt neugierig aufeinander!
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