„Warum spricht mein Kind Englisch statt seiner Muttersprache?“
Mit dieser Frage ist nicht nur gemeint: Wo hat das Kind das gelernt?
Warum zieht das Kind die englische Sprache der Muttersprache vor?
Tatsächlich kann man oft beobachten, dass Kinder aus dem Autismusspektrum sich autodidaktisch diverse Sprachen aneignen und diese dann auch nutzen - und manchmal tatsächlich auch die eigene Muttersprache verweigern.
Aber warum?
Das kann ganz viele Gründe haben!
Zum Einen ist die englische Sprache „einfacher“ zum Beispiel hinsichtlich der Grammatik. Einige meiner Klienten bezeichnen sie als logischer.
Zum anderen erlernen die Kinder die „andere Sprache“ häufig autodidaktisch, spielen hier ihre Fähigkeiten und Besonderheiten aus, die die Bereiche „Spezialinteresse“ und „Hyperfokus“ so mit sich bringen können. Zudem gibt es in den Medien wie YouTube etc. viele englischsprachige Angebote. Diese Angebote sind einfach da und können ohne didaktischen Anspruch konsumiert werden. (Warum Medien großartig sein können, an anderer Stelle mal mehr!)
Die Kinder vertiefen sich in die Sprache und niemand stört sich zunächst daran. „Eine Sprache erlernen ist immerhin nützlich.“ - so die Bewertung von außen.
Ob diese Bewertung nun gerechtfertigt ist, lassen wir mal dahingestellt. Ich bin der Meinung, dass „Sand-durch-die-Hände-rieseln-lassen“ genauso sinnvoll und somit nützlich sein kann…
Und wenn das Erlernen erfolgreich ist, erfahren die Kinder endlich mal eine Wertschätzung. „Wow! Das hat er sich selbst beigebracht?“
Des Weiteren kann einen eine andere Sprache von Anforderungen fern halten…
Wer eine Fremdsprache spricht, die in der Familie sonst nicht gesprochen wird, wird automatisch weniger angesprochen. Vielleicht kann man sich auch leichter hinter einem „ich versteh dich nicht“ verstecken.
Der Kindergarten oder die Schule reagiert womöglich verwirrt und lässt denjenigen dadurch dann in weiterer Folge einfach auch mehr Spielraum. Im Kindergarten werden vielleicht keine Gruppenaktivitäten gefordert bzw. man hat „leichtere“ Erklärungen für ein soziales „Nicht-Gelingen“. „Die anderen Kindern verstehen Theresa halt nicht, wenn sie nur englisch spricht.“ Und der Lehrer nimmt Tobi vielleicht nicht dran - selbst wenn dieser nicht aufzeigt - weil er das Lachen der anderen Schüler („Haha, der nimmt Sie nicht ernst!“) oder weitere Diskussionen vermeiden möchte.
Und ein weiterer, nicht zu unterschätzender Grund, können tatsächlich Gefühle sein.
Gefühle können überwältigend sein. Oftmals fällt es Menschen aus dem Autismusspektrum schwer, die eigenen (und auch fremde) Gefühle richtig zu deuten. Unsicherheit kann Angst machen. Zudem werden Gefühle oft sehr stark empfunden.
Dann kommen oftmals neurotypische Menschen daher mit dem (gut gemeinten) Angebot, darüber zu reden. „Erzähl doch mal, was ist denn los?“
Und genau an diesem Punkt kann eine andere Sprache eine erholsame Distanz zu den eigenen Gefühlen schaffen. Eine Distanz, die ein „Drüber Reden“ vielleicht sogar erst möglich machen kann.
Also, wie so oft: es gibt unendlich viele Gründe… Nicht immer können wir die vielleicht auf Anhieb von außen erkennen, womöglich können wir sie in ihrer Wichtigkeit auch nicht nachvollziehen. Aber wir sind aufgefordert, diese Gründe anzuerkennen und zu akzeptieren.
Bleibt neugierig aufeinander!
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