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Janina Jörgens

Diagnose im Erwachsenenalter - Was bringt das?


Schrift: Autismus


Was bringt es, wenn erst spät die Idee aufkommt, dass man womöglich selbst im Autismusspektrum lebt?

 

Kindergarten und Schule sind längst vorbei, man hat womöglich einen Job, eine Familie oder ist gar bereits in der wohlverdienten Rente…

Das bedeutet, Hilfen wie Schulassistenzen, Nachteilsausgleiche usw. treffen ja sowieso nicht mehr zu, können und brauchen also auch nicht beantragt zu werden…

 

„Wozu Hilfen? Ich hab mein Leben ja auch so in den Griff bekommen…. Naja, so einigermaßen…“

 

Auch für Erwachsene kann sich eine Diagnose lohnen.

 

Rechtlich steht einem mit einem Schwerbehindertenausweis (wieder so ein gruseliges Wort für ein Stück Pappe…) durchaus ein Nachteilsausgleich zu. 

Nachteilsausgleich betrifft Erwachsene z.B. bzgl. steuer- und arbeitsrechtlicher Ausgleiche, unter anderem mehr Urlaubstage oder ein besonderer Kündigungsschutz. Auch Eintrittspreise im Kino, Freizeitparks oder auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln können vergünstigt sein oder wegfallen. 

Und auch für Erwachsene gibt es Assistenzen, die in Anspruch genommen werden können.

Da gibt es Hilfen zum Bewältigen des Alltags, Begleitung in Ausbildung und Studium, Hilfen zum Suchen und Finden von geeigneten Wohnmöglichkeiten oder Arbeitsplätzen, Coachings, etc..

 

 

Ich finde, dass sich eine Diagnose zu jedem Zeitpunkt im Leben lohnen kann. 

 

Warum? 

 

Weil man verbrieft die Chance bekommt, sich noch einmal ganz neu kennenzulernen!

 

Das ist nicht immer rosarot - manchmal auch ganz im Gegenteil.

 

Ähnlich, wenn man einen Fremden kennenlernt… 

Da fragt man erst mal gegenseitig nach den oberflächlichen Dingen: Wie heißt du? Wie alt bist du? Als was arbeitest du? Wo kommst du her?

Erst, wenn man sich näher kennenlernt kommen tiefergehende Fragen. Man nähert sich langsam an, wird vertrauter, kann sich möglicherweise öffnen.

 

So lernt man sich selbst nach einer Diagnose neu kennen, als einen Menschen im Autismusspektrum.

 

Das ist oftmals gerade zu Beginn auch durchaus verwirrend. Schließlich war man doch bisher „ganz normal“…?

 

„Naja… Ok - ich hab mich schon oft gefragt, ob ich nicht irgendwie auf dem falschen Planeten lebe…“

 

„Also gab es einen echten Grund, warum ich nie so viel geschafft habe, wie die anderen…“

 

„Ich DARF müde sein, frustriert sein - und vor allem darf ich mir Pausen gönnen oder Hilfen holen!“

 

Und dies ist der Grund, warum auch späte und sehr späte Diagnosen absolut sinnvoll sein können!

 

Sie können helfen, sich selbst anzunehmen. Sich selbst anzuerkennen in allen Stärken und Schwächen. 

 

Plötzlich gibt es Antworten auf so viele Fragen.

 

Endlich kann ich es mir erlauben, netter zu mir zu sein. Meine vermeintlichen Schwächen zuzulassen, aber auch meine Stärken ggf. zu feiern.

 

Und ich kann mir, wenn ich das möchte, Gleichgesinnte suchen - andere Autisten.

 

„Es ist wie „nach Hause kommen“, berichtete mir Bea, die ihre Diagnose mit 34 Jahren bekommen hat. „Ich saß vor dem PC und hab geheult. Da waren Menschen, die mich verstanden! Menschen, die scheinbar ein ähnlich „verdrahtetes“ Gehirn haben wie ich! Da wurde in unfassbarer Geschwindigkeit gechattet. Es flogen Witze durch den Raum, die ich alle sofort verstand! Alles war sortiert, logisch, einfach und schön!“

 

Erst nach 2 Jahren traute Bea sich zu, einige der Online-Bekanntschaften auch im „echten Leben“ zu treffen und besuchte eine Selbsthilfegruppe in ihrem Nachbarort.

 

„Das war gefühlt das Mutigste, was ich in meinem ganzen Leben gemacht habe…“, sagt Bea. „Und das Sinnvollste!“, strahlt sie. 

Sie hat neue Freunde gefunden und ihr gesamtes Leben auf den Kopf gestellt. 

Sie hat ihren Job und ihre Wohnung gekündigt und lebt nun mit 7 anderen Autisten auf einem alten Bauernhof. 

 

„Eine „WG“ war uns zu eng und wir wollten alle raus in die Natur. Bis auf eine Mitbewohnerin sind wir alle mittlerweile selbstständig und können uns unser Leben selbst finanzieren.“

 

Egal wann… es ist nie zu spät für einen Neuanfang. Es ist nie zu spät, sich noch einmal neu kennenzulernen.

 

So kann auch eine späte Diagnose absolut zielführend sein, allein um sich selbst gegenüber netter und rücksichtsvoller zu werden, sich selbst akzeptieren zu können.

 

Also: bleibt neugierig!

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