top of page
Janina Jörgens

"Einfache" Fragen...?


3 Fragezeichen


„Mensch - das ist doch nun wirklich eine einfache Frage…“

 

Sicher?

Gegenfrage: Gibt es „einfache“ Fragen????

 

Aus neurodivergenter Sicht: Nein.

 

Warum? Nun, das werden wir hier mal versuchen zu erörtern.

 

Neurodivergente Menschen nehmen ihre Welt oft anders wahr.

Mit dieser Wahrnehmung stehen sie oft allein, werden von ihren Mitmenschen ungläubig angeschaut, nicht verstanden, belächelt.

 

Die „normale“ Welt erscheint ihnen oft angsteinflößend, unverständlich, hektisch.

 

Für Extra-Erläuterungen, ein Herantasten oder ein Ausprobieren bleibt meist keine Zeit.

Das „normale“ Leben läuft einfach weiter, Gespräche werden nicht unterbrochen, sondern fortgeführt - wer nicht mitkommt, muss sehen, wo er bleibt…

 

Diese Problemkreise begegnen uns in so ziemlich jedem Gespräch. Selbst im belanglosesten Small Talk…

 

„Wie geht es dir?“

 

Eine der meistgestellten Eingangsfragen in Gesprächen.

Eine (meistens) rhetorische Frage, d.h. der Fragesteller will gar keine ausführliche, echte Antwort.

 

Na prima… Damit wäre also das vermeintlich einfache Konstrukt von „Frage - Antwort“ gleich mal hinfällig.

Nicht jede Frage verlangt nach einer Antwort.

 

Eine weitere Annahme, die beinah jedem Kind vermittelt wird, gerät hier ebenfalls ins Wanken: „Du sollst immer die Wahrheit sagen!“

 

Aber bei rhetorischen Fragen wird gar keine „wahre“ Antwort erwartet…

 

„Wie geht es Dir?“ kann eine Eingangsfrage mit der Absicht eines Gesprächseinstieges oder ersten Kontaktaufbaus sein.

Wenn dem so ist, dann wäre die „passende“ Antwort „Gut:“ - selbst wenn man gerade eine Absage für den Job bekommen oder Kopfschmerzen hat.

 

„Wie geht es Dir?“, gefragt vom besten Freund, der eine gewisse Blässe bei seinem Gegenüber bemerkt hat, ist allerdings eine „echte“ Frage und möchte somit auch eine „echte“ Antwort.

 

Fragen über Fragen….

 

Exakt die gleiche Frage und so viele potentiell „falsche“ Arten zu antworten! Du große Güte!

 

Es gibt unzählige Kleinigkeiten zu beachten:

Wer fragt?

Wie ist die aktuelle Situation, in der die Frage gestellt wird?

In welchem Tonfall wird die Frage gestellt?

Wie ist die Mimik beim Fragesteller?

Usw.

 

Wenn ich nun herausgefiltert habe:

Wer? Ein guter Freund - d.h. er weiß um meine aktuellen Lebensumstände.

Situation? Ein Treffen, nur wir beide als gute Freunde, bei mir zu Hause - d.h. wir haben Zeit, werden nicht gestört und nicht abgelenkt.

Tonfall? „besorgt“ - d.h. ruhige, eher tiefere, leisere Stimme.

Mimik? „besorgt“ - d.h. Augenbrauen in der Mitte leicht hochgezogen, leicht gerunzelte Stirn, Kopf etwas gesenkt, Blickkontakt, Körper einander zugewandt.

 

In diesem Falle wird die Frage „ernst gemeint“ sein, das bedeutet, mein Freund erkundigt sich wirklich nach meinem Befinden und hört sich auch meine Sorgen an.

 

Und selbst dann bleiben noch viele Fragen offen:

Wieviel Zeit habe ich für eine Antwort?

Will er nur nachfragen, weil er weiß, dass mein Bewerbungsgespräch nicht gut gelaufen ist? Oder soll ich auch erzählen, dass nächste Woche der Heizungsableser kommt und ich mir riesige Sorgen mache, weil ich eigentlich keine fremden Menschen in meine Wohnung lassen möchte? Und die Stelle da am Fuß, soll ich die auch zeigen? Aber da hat er ja eigentlich nichts mit zu tun, oder? Vielleicht könnte ich fragen, ob er mich zum Arzt begleiten würde, aber… wir sind zwar gute Freunde, aber gehört da so eine Bitte dazu? Außerdem: Wie geht es dir? Wie soll es mir gehen? Wie einem Alien auf dem verkehrten Planeten… Angestrengt - wie jeden Tag, das muss doch keiner mehr erfragen, oder? Wie geht es dir? In welcher Hinsicht? Körperlich? Psychisch? Den allgemeinen Ernährungszustand betreffend? Spirituell?

??? - Also, so einfach ist die Frage nicht…

 

Nicht selten bleibt dann eine Antwort aus, oder es gibt nicht die Antwort, die mein Gegenüber erwartet hat.

 

Jetzt hängt es davon ab, ob mein Gesprächspartner damit umgehen kann - oder eben auch nicht. Wenn nicht, dann kann das Gespräch sehr schnell beendet sein, ein peinliches Schweigen kann hereinbrechen, schlimmstenfalls bricht der andere das Gespräch ab und windet sich aus der Situation heraus.

Oder er wird ungeduldig: „Was erzählst du da vom Heizungsableser??? Ich wollte wissen, wie es bei deiner Bewerbung gelaufen ist!?“

Ach so… ja, dann frag das doch….

 

Klare Frage - klare Antwort.

Das ist eine zielführendere Devise.

 

Klar formulierte Fragen helfen dem Gegenüber, eine passendere Antwort zu geben.

 

Neurotypischen Menschen erscheint eine solche Art der Fragestellung allerdings häufig als „zu direkt“ oder gar unhöflich.

 

Neurodivergente Menschen sind gern dazu aufgefordert, hier für sich einzustehen und ggf. einfach selbst nachzufragen - bevor sie sich in Unmengen weiterer Fragenlabyrinthen verirren.

 

„Wie geht es dir?“

Da darf man gern, wenn man unsicher ist, um mehr Präzision bitten.

Frage vorsichtig lächelnd nach: „Was genau möchtest du wissen?“

 

Wenn Dein Gegenüber wirklich an dir und an einem Gespräch mit dir interessiert ist, wird er deine Offenheit und Klarheit zu schätzen wissen.

 

Sieh es ihm nach, wenn er am Anfang evtl. verwirrt reagiert.

Die meisten neurotypischen Menschen sind häufig erschrocken, wenn sie beginnen zu erkennen, wie wenig sie viele ritualisierte Abläufe hinterfragen und wie oft es im Gegensatz neurodivergente Menschen tun.

 

Lade sie gern ein in Deine Welt!

 

Klar kannst auch Du solche Dinge wie „Small Talk“ üben, das ist richtig und auch wichtig - aber ich finde, dass zu einem „aufeinander Zugehen“ eigentlich immer zwei Menschen gehören. ;-)

 

Bleibt neugierig

0 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page