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Janina Jörgens

Fallbeispiel: PDA in der Therapie - Ergebnisorientiert "um-die-Ecke-arbeiten"


Kind mit Mütze sitzt im Gras


PDA (Pathological Demand Avoidance; also: pathologische Anforderungs Vermeidung) stellt alle im System auf die Probe - jeden Tag, immer wieder.

Die PDAer selbst stresst ihr Erleben und Verhalten und die Reaktionen der Umwelt darauf mindestens ebenso wie das umgebende und im besten Falle helfen wollende System.

 

Wie geht man mit jemandem um, der das PDA-Profil zeigt?

 

„Herausforderndes Verhalten“ ist mittlerweile den meisten Menschen, die sich mit dem Thema Autismus befassen, ein Begriff - wenn ich ihn auch noch immer recht unpassend empfinde… 

Menschen mit einem zusätzlichen PDA-Profil zeigen ein solches Verhalten nicht nur ab und zu, sondern beinah ständig… Jede Anforderung, egal wie klein und egal, wie gut verpackt, kann zu einer emotionalen Überreaktion führen. Und warum? Aus Angst. Angst, die Kontrolle abzugeben, zu verlieren.

 

Ich möchte heute mal ein Fallbeispiel aus der Praxis teilen, wie ich dort mit autistischen und eben auch PDA-Kindern arbeite.

 

Ich habe in meiner therapeutischen Arbeit mit Autisten und ihren Familien immer einen Plan im Kopf, was wir erreichen wollen, was ggf. für den aktuellen Termin für Themen anstehen.

Nicht immer kann ich diese so bearbeiten, wie ich mir das vielleicht im Vorfeld überlegt habe. Da ich aber ein kreativer Mensch bin, der neben einem „Plan A“ meist auch einen „Plan B-F“ im Gepäck hat und sich gern auf Impulse einlassen mag, ist das gar nicht weiter schlimm.

 

So kam letztens einer meiner Klienten zu seiner wöchentlichen Therapie, Finn (Name geändert), 8 Jahre, Asperger, 3. Klasse Grundschule.

Finn ist ein ausgesprochen kreatives, phantasievolles Kind, er malt grandiose Bilder, liebt Rollenspiele und ist äußerst clever. Neue Dinge und Erkenntnisse greift er schnell auf und setzt sie sofort in eigene Ideen um.

Leider reagiert er auf Anforderungen meist nicht wirklich kooperativ, möchte lieber selbst entscheiden, was wann, wie und mit wem getan wird.

Man mag sich vorstellen, in welche Zwickmühlen ihn das leider oft bringt.

 

Hier nun aber ein ganz tolles Beispiel einer äußerst gelungenen Therapieeinheit:

 

Finn bekommt bald eine neue Schulbegleitung. Finns Mama und ich möchten, dass die neue Schulbegleitung seine Stärken und Schwächen von Anfang an gut kennenlernen und sich so besser auf Finn und seine Bedürfnisse einstellen kann. 

Unser Ziel für diese Einheit war also, ein paar erste Ideen und Wünsche von Finn an die Schulbegleitung zusammenzutragen.

 

Finn selbst wollte aber das schöne Wetter nutzen und im Außenbereich mit mir gemeinsam mit seinen Autos spielen.

 

Während ich noch in der Übergabesituation kurz mit seiner Mama sprach, flitzte er schon los, organisierte Straßenkreide aus unserem Materialraum und bereitete alles für seine Ideen vor.

 

Ich folgte ihm also erst einmal nach draußen, beobachtete seine Vorbereitungen, erkundigte mich nach seinem Befinden und fragte plump, wie es gerade in der Schule laufe.

Seine Antwort (ohne Unterbrechung seiner Vorbereitungen): „Ja, mir geht’s gut. Guck mal! Und dann kann man hier….“, und er begann mit seinen Erläuterungen, was wir heute zusammen unternehmen… ;-) 

 

Sein: „Ich will nicht über die Schule reden!!!“ blieb zwar unausgesprochen, war aber dennoch unüberhörbar… ;-)

 

Nun habe ich an so einer Stelle 3 Möglichkeiten:

  • A) Ich gebe nach und wir spielen das gewünschte Spiel.

  • B) Ich setzte meinen Plan durch und ernte vermutlich Kampf und Sturheit und stehe nach 2 anstrengenden und kräftezehrenden Stunden ohne große Ergebnisse aber mit einem nicht gut gelaunten Klienten da, der mir vielleicht zum Abschied entgegenschreit: „Du bist doof, ich komme nächste Woche nicht wieder!“

  • C) Ich lasse mich auf das gewünschte Spiel ein und schaue, ob ich meine Wünsche ein Stück weit „untermogeln“ kann… ;-) Wenn ja: Juhuuu!, wenn nein: OK…

 

Ich bin der C-Typ. ;-)

 

So spielen wir erst eine Weile zusammen sein Spiel, malen mit Straßenkreide Festungen, Verteidigungswälle, unterirdische Labyrinthe usw. auf den Boden und platzieren die Autos.

Nach einiger Zeit, ca. 20 Minuten, gebe ich vor, auf die Toilette zu müssen und hole auf dem Weg ein leeres Blatt und einen Kugelschreiber.

 

Meine Schreibutensilien werden misstrauisch beäugt, als ich wieder zurückkomme.

„Ich wollte mir nur grad ein paar Notizen machen, Mama hat erzählt, es kommt eine neue Schulbegleitung, um dich kennenzulernen und da möchte ich, dass sie die wirklich (!) kennenlernt!“

 

Ich falte das Blatt zweimal zur Mitte, so dass 4 Einteilungen darauf zu erkennen sind. Hier schreibe ich Überschriften rein, welche ich vor mich hinmurmele:

„Was man über Finn wissen sollte: …; Was Finn gut kann: …; Was Finn nicht so leichtfällt: …; Was Finn hilft: …“ und trage ein paar Stichworte ein, von denen ich weiß, dass sie passen und von Finn abgesegnet werden. 

 

Da wir uns ja schon eine ganze Weile kennen und auch schon einige hilfreiche Ideen im Vorfeld entwickelt hatten, konnte ich hier nicht viel verkehrt machen und Finn damit signalisieren: 

  • Es gibt bereits Ideen, die du auch schon kennst und von denen du weißt, dass sie gut funktionieren. 

  • Ich finde es toll, dass du schon Möglichkeiten gefunden hast, mit schwierigen Situationen umzugehen. 

  • Ich schätze das so sehr, dass ich es wertvoll finde, dies auch aufzuschreiben.

 

Und all das muss ich nicht sagen und erklären… Finn ist nicht nur sehr clever, er ist auch sehr empathisch. Finn „fühlt auch zwischen den Zeilen“. ;-)

 

Dann lege ich Zettel und Stift weg und widme mich wieder dem Spiel.

 

„Ach… Kannst du da noch was auf den Zettel schreiben? "Ist mir grad eingefallen!“

Finn… Er hat ganz genau registriert, was ich da tue und kann nach ein paar Minuten eigene Ideen für unseren Steckbrief beisteuern! Und was für tolle, kreative und absolut wertvolle Ideen!!!

 

Den Rest der Einheit spielen wir mit den Autos und der Straßenkreide und immer wieder unterbricht Finn und diktiert mir neue Inhalte für den Steckbrief! Wir können sogar über Formulierungen diskutieren und überlegen, ob die Idee auch umsetzbar ist oder ob wir sie erst mal verwerfen.

 

Zum Ende der Einheit ist der Hof bunt bemalt, Finn glücklich, Mama und ich begeistert und der Zettel pickepacke voll mit richtig guten und konstruktiven Ideen und Informationen für den neuen Schulbegleiter!

 

Klasse gemacht, Finn!!!

Jetzt drück ich fest die Daumen, dass der neue Schulbegleiter dich und deine Stärken endlich erkennen und dich in der Schule gut unterstützen kann!!!

 

In diesem Sinne: Bleibt neugierig aufeinander!

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