Ich selbst bin großer Harry-Potter-Fan.
Und auch viele meiner Klienten/Innen sind von den Geschichten rund um den kleinen Zauberschüler fasziniert.
Diese gemeinsame Begeisterung kann also schon mal ein toller „Türöffner“ im gegenseitigen Kennenlernen sein.
„Was? Du magst Harry Potter auch!? Was magst du lieber, die Filme oder die Bücher? Welche Figur magst du am liebsten und warum? In welches Haus würde der sprechende Hut dich einsortieren?“
Tatsächlich bekomme ich dann auch meist keine einsilbigen Antworten, sondern direkt ausführliche Erklärungen dazu - und dann wird es richtig spannend!
Über die Phantasiewelten rund um Hogwarts können die Kinder sich oft ganz großartig selbst beschreiben, können über ihre Stärken, Schwächen und auch Ängste reden.
Das Großartige an Harry-Potter ist zum Einen die Tatsache, dass es sich um Phantasiewelten handelt.
Alles ist ja „nur erfunden“, also weit genug weg von der echten Welt, in der ich mich selbst vielleicht manchmal etwas schwer tue…
Zum Anderen ist ausgerechnet die Hauptfigur, Harry selbst, ein Außenseiter. Er wird von seiner eigenen Familie (Onkel, Tante, Cousin) gemobbt - und das obwohl (oder gerade weil?) er über faszinierende Fähigkeiten verfügt…
Alle Figuren sind außerordentlich vielschichtig und spannend.
Zwar gibt es ein klares Gut- und Böse-Konzept, dennoch haben auch die nettesten Charaktere ihre dunklen Seiten und umgekehrt. Jede Figur hat klare Stärken und auch Schwächen. Alle Figuren machen im Verlauf der Geschichte Wandlungen durch.
Immer wieder geht es um zentrale Themen wie Mut, Freundschaft, Anders sein, Loyalität und Verbundenheit und auch Verluste.
Nicht zuletzt gibt es auch noch jede Menge Material rund um Harry Potter. Kostüme, Zauberstäbe, Hexenkessel, Stifte - bis hin zum Fidget-Spinner in der Form des goldenen Schnatzes!
All das darf Eingang in die Therapiestunden finden!
Auch außerhalb von Karneval und Fasching darf man sich als seine Lieblingsfigur verkleiden, darf mal „mächtig“ sein und den Zauberstab schwingen.
Man darf seinen eigenen Zaubertrank brauen.
„Wenn du einen Zaubertrank erfinden könntest, mit dem man sich ohne Angst in die Schule trauen könnte, was käme da rein?“ Ich schreibe die Zutaten dann auf Zettel und werfe sie in den Kessel, natürlich mache ich auch Vorschläge: „eine Portion Mut, einen Teelöffel „Der kann mich mal“, usw. Ganz niederschwellige Angebote von möglichen Ansätzen zur Bewältigung der eigenen Barrieren.
Die Kinder können entdecken, dass Menschen und Situationen nicht immer so „schwarz-weiss“ sind, wie sie ihnen manchmal erscheinen. Auch die eigenen Therapeuten, Eltern und Lehrer sind nicht perfekt, auch die haben Schwächen. Auch eine gemeine oder unfaire Handlung hat vielleicht eine Erklärung, wenn man die Hintergründe kennt…
Eine Klientin z.B. ist Malfoy-Fan. Sie sagt: „Malfoy braucht auch Unterstützung! Ja, alle denken immer, er wäre der Böse, aber im Grunde genommen kann er einem doch eher leid tun! Eigentlich ist er sogar auch ein bisschen ein Feigling… Vielleicht gibt er sich nur immer so großkotzig, weil er ja eigentlich gar keine Freunde hat…Vielleicht ist das auch nur ein Selbstschutz.“
Spannend finde ich es immer wieder, dass oft eher die Nebencharaktere die Aufmerksamkeit meiner Klient/Innen erregen: die maulende Myrthe, Gilderoy Lockhard, Argus Filch, der fast kopflose Nick…
Hier wird genauestens analysiert, mögliche Hintergründe und Ambitionen erörtert und auch die Wichtigkeit dieser „Sidekicks“ für die anderen, vermeintlich „wichtigeren“ Figuren sowie für den gesamten Verlauf der Geschichte hervorgehoben.
Das Harry-Potter-Universum bietet so viele grandiosen Meta-Ebenen, welche man für die therapeutische Arbeit nutzen kann. Vom ersten Kennenlernen über die Akzeptanz der eigenen Diagnose, den wichtigen Aspekt des Empowerments, Analyse von sozialen Fähigkeiten bis hin zu möglichen Strategien zur Bewältigung von alltäglichen Herausforderungen.
Und? In welches Hogwarts-Haus würdet ihr einziehen?
Bleibt neugierig
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