Das erste „A“ in den PANDA-Strategien steht für „Angst Management“
Die wichtigste Erkenntnis für uns sollte sein, dass ein sogenanntes „herausforderndes Verhalten“ seltenstens bis nie eine Provokation darstellt, sondern als Ausdruck von Angst und Panik zu verstehen ist.
Das immer gegenwärtige „Nein“ ist keine Aufmüpfigkeit - es ist ein Selbstschutzmechanismus!
PDA wird zur Zeit oftmals noch nicht als eigenständige Diagnose gestellt. Doch viele (verständnisvolle) Diagnostikstellen diagnostizieren zusätzlich zur Autismusspektrumstörung dann eine Angststörung.
Was können wir tun, um mit der Angst zu leben, ihr aber möglichst wenig Angriffsstellen zu bieten?
Denn: je weniger Angst jemand erleben muss, je weniger sich die Person schützen muss, umso mehr kann sie freie Ressourcen nutzen, um sich auf Situationen, Aktivitäten, neue Dinge, etc. einzulassen.
Auch hier gibt es auf der FAPDA (Fachverein PDA-Autismus-Profil)-Website wieder eine gute Übersicht:
Weg des geringsten Widerstandes
Unsicherheiten reduzieren
Zugrundeliegende Angst/ Herausforderung erkennen
Vorausdenken
Panikattacken akzeptieren, begleiten
Nehmen wir hier mal das praktische Beispiel des Zähneputzens.
Zähneputzen ist oftmals eine große Anforderung! Sensorisch auf vielen Ebenen eine äußerst anstrengende Erfahrung, zudem oft eine „Anzeigersituation“ für anstehende Übergänge („Gleich geht´s ab ins Bett.“ „Jetzt geht’s los zur Schule…“).
Häufig braucht der Kampf ums Zähneputzen schon einen Großteil der verfügbaren Tagesenergie auf…
Also, her mit der 2. PANDA-Strategie:
„Weg des geringsten Widerstandes“
Stellen wir uns mal folgende Fragen:
Wie könnte die Zähneputz-Situation entschärft oder erleichtert werden?
Muss das Drama im Bad stattfinden?
Muss die „Minute“ durchgezogen werden?
Muss mit (dieser) Zahnpasta geputzt werden?
Muss 3x am Tag geputzt werden?
Muss mit dieser Zahnbürste geputzt werden?
Muss zu diesen Zeiten geputzt werden?
Oder geht es (erst mal) auch ohne Zahnpasta mit einer Rundzahnbürste, im Bett sitzend mit warmem Wasser, 4 mal in der Woche? (Alles kann ja nach und nach angepasst und gesteigert oder erweitert werden, sobald die wachsenden Ressourcen es (wieder) zulassen.
„Unsicherheiten reduzieren“
Vielleicht könnt ihr Bilderbücher oder YouTube-Videos zum Thema Zähneputzen anschauen?
Vielleicht möchte Dein Kind diese Dinge allein anschauen?
Vielleicht darf dein Kind sich einige Zahnpasta-Varianten in Ruhe selbst anschauen und testen?
Vielleicht darf dein Kind sich selbst die Zähne putzen? (Die eigenen Zähne von einer anderen Person - und sei sie noch so vertraut - geputzt zu bekommen, ist schon ziemlich überwältigend! Stell dir das Szenario mal für dich selbst vor…)
Vielleicht kann dein Kind Zeit, Utensilien und Ort selbst bestimmen?
Vielleicht könnt ihr einen Kinderzahnarzt mal interviewen? Vielleicht auch „nur“ online. (Ohne Anfahrtsweg, ohne Zahnarztpraxisgeruch und Zahnarztpraxisgeräusche und ohne die Angst vielleicht doch „auf den Stuhl“ zu müssen….)
„Zugrundeliegende Angst/ Herausforderung erkennen“
Findet gemeinsam heraus, worin die Angst oder die Herausforderung beim Beispielthema „Zähne putzen“ besteht.
Sind es sensorische Herausforderungen? (scharfe Zahnpasta, harte Borsten, empfindliche Zähne / Zahnfleisch, starker Geruch der Zahnpasta, Schmerzen beim Ausspülen mit kaltem Wasser, hallige Akustik im Bad, sonstige Gerüche im Bad…)
Ist es die „Anzeigersituation“? Das heißt, liegt es „eigentlich“ gar nicht am Zähne putzen sondern an den daran anschließenden Aktivitäten und Übergängen wie „ins Bett gehen“, „in die Schule müssen“, etc.)
Ist es die Sorge, „nicht richtig“ zu putzen, und dann „wird geputzt“ oder man muss zum Zahnarzt?
Oder, oder, oder…. Es gibt unzählige Ängste und Herausforderungen - rund um jedes nur erdenkliche Thema…
„Vorausdenken“
Wenn ihr gemeinsam einige potentielle Herausforderungen entdeckt habt, könnt ihr „vorausdenken“.
Wenn du also weißt, dass der Tag gestern anstrengend war, oder ein aufregendes Ereignis bevorsteht, oder die Nacht nicht erholsam war, oder, oder, oder…, dann kannst du dich besser darauf einstellen, dass heute vielleicht ein Tag ohne Zähne putzen die stressfreiere Alternative darstellt…
Vielleicht bietest du von vornherein Alternativen an, die hilfreich sein können.
Vielleicht lässt du das Zähne putzen heute komplett ausfallen, thematisierst es auch gar nicht. Manchmal passieren dann spannende Dinge. Man steht vor der Tür, fertig um das Haus zu verlassen und das Kind sagt: „Mama, wir haben noch gar nicht Zähne geputzt!“ Und manch einer ist dann kurz ins Bad gelaufen und hat das „mal eben schnell“ erledigt! „Ups!“ ;-)
„Vorausdenken“ bedeutet auch, mögliche Trigger und Angstauslöser schnell zu erkennen und sicher zu handeln.
Sei es das schnelle Umschalten, wenn eine Fernsehwerbung eingeblendet wird, die dein Kind z.B. ans anstehende Zähneputzen erinnern könnte, obwohl bis dahin noch viel Zeit ist. Oder das Setting zum Zähne Putzen stets so „barrierefrei“ und angenehm wie möglich zu machen (warmes Wasser, Lieblingshandtuch, währenddessen YouTube-Videos schauen, etc..
„Panikattacken akzeptieren, begleiten“
Und wenn es dann doch passiert?
Egal wie vorsichtig und umsichtig das Angebot war… es kann dennoch jederzeit zu einer Panikattacke kommen…
Das ist das „Leben, wie auf Eierschalen“, von dem so viele Eltern und Begleitpersonen von PDA-Personen berichten können.
Wenn es denn doch zu einer Krise kommt:
Ruhe bewahren
Verständnis haben
Sicherheit geben
Durchatmen, akzeptieren
Das ist nicht einfach - und wird es vermutlich auch nie sein. Aber dennoch ist es so wichtig, diese Begleitung durch Panikattacken zu lernen, durch jede einzelne dazu zu lernen.
Denn die Menschen, die selbst in diesen Momenten gefangen sind, leiden sehr und können sich selbst in dieser akuten Notsituation nicht helfen!
Bleibt nah beieinander und füreinander da!
Und bleibt neugierig!
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