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Janina Jörgens

PANDA-Strategien (Teil 5): Adaptation - Anpassungen

Aktualisiert: 11. Aug.


Panda


Dieser Artikel bildet den Abschluss unserer PANDA-Strategien-Reihe.

 

Adaption und Anpassung.

Und zwar Anpassung der neurotypischen Welt mit all ihren Anforderungen an den neurodivergenten Menschen mit PDA-Profil!

 

Nicht - wie in beinah jedem anderen Zusammenhang - anders herum!!!

 

Immer wieder hören und lesen wir von sogenannten „Passungsproblemen“. 

 

Klingt gut? Ist es aber leider nur selten… Denn meist ist damit der Umstand gemeint, dass ein Mensch nicht in das vorhandene System passt, somit als unbequem und störend empfunden wird. Dieser Mensch soll sich anpassen, soll sich „zusammenreißen“ oder „sich nicht so anstellen“…

 

Wenn diese Weitergabe eines Passungsproblems an den neurodivergenten Menschen nicht einfach so klappt, kann es sein, dass eben dieser „nicht passende“ Mensch „aussortiert“ wird. Es kommt zum Ausschluss aus der Kita-Gruppe, zum Schulverweis, zur Kündigung.

 

„Das Runde wollte einfach nicht ins Eckige“…

 

Bleiben wir mal gern bei diesem Bild.

Stell dir dieses allbekannte Spielzeug für Kleinkinder vor, diesen Kasten mit Aussparungen in verschiedenen Formen. Dazu gibt es bunte Holzklötzchen, von denen ein jeder in seine bestimmte Form passt.

 

Wenn jemand nun versucht, das runde Klötzchen in das eckige Loch zu stopfen, wird das nicht funktionieren. 

Gibt man nun dem runden Klötzchen die Schuld, müsste man es zersägen, es insgesamt verkleinern.

Würde man die Ursache des Passungsproblems eher dem Kästchen zuschreiben, müsste man das viereckige Loch vergrößern.

 

Oder es wird klar, dass sich im Grunde keines der beiden Elemente einer „Schuldfrage“ stellen müsste, dann bietet sich für das runde Klötzchen einfach die runde, passende Aussparung an! - Dann wäre alles ganz leicht!

 

Leider findet sich für neurodivergente Menschen, insbesondere die mit einem PDA-Profil, in unserer Welt oftmals nur schwer ein passendes System.

 

Allerdings sind die Anpassungsmöglichkeiten, die die Person selbst hätte, auch nur begrenzt. Nicht weil sie nicht wollte - nein! Sie kann nicht!!!

 

Wenn wir diesen Umstand endlich akzeptieren, können wir uns neuen Möglichkeiten zuwenden.

 

Wie können wir nun ein Umfeld so anpassen, dass es etwas „PDA-freundlicher“ werden kann?

 

Nach FAPDA bieten sich hier verschiedene Ideen an:

 

  • Humor, Ablenkungen, Neues probieren, Rollenspiele, etc.

  • Flexibel sein - “Plan B-F”

  • Zeit geben

  • Gleichgewicht zwischen “geben” und “nehmen” herstellen

 

Schauen wir uns gern ein paar Beispiel hierzu aus der Praxis an.

 


Humor, Ablenkungen, Neues probieren, Rollenspiele, etc.

 

Ich lache viel auf der Arbeit - und das ist gut so! Ich lache nicht über Menschen, sondern mit ihnen.

 

So oft höre ich „Na, ihr habt aber Spaß“ - wenn eine Kollegin den Raum betritt.

Ja, ich bin oft albern mit meinen Klienten. Wir erzählen abstruse Phantasiegeschichten, die wir in immer schillernderen und verrückteren Farben ausspinnen - tatsächlich lenke ich diese Geschichten oft so, dass die Klienten einen Lerneffekt daraus ziehen können, wenn sie wollen.

Und unzählige Male habe ich erlebt, wie wir 2 Stunden „herumfabulieren“ und meine Klienten in der Abholsituation ihren Eltern tatsächlich knapp zusammengefasst die „Moral der Geschichte“ präsentierten, ja sogar den Inhalt der Geschichte eigenaktiv auf sich selbst übertrugen!

 

Von außen: „Die machen ja noch nicht mal vernünftige Arbeitsblätter!“, „Was erzählen die da für Quatschgeschichten?“

Von innen: Festigung der Bindung, schaffen eines Vertrauensverhältnisses, Equalizing (beide haben Ideen und bringen sie ein, beide sind auch mal albern), Mitgabe von „Lebensweisheiten“ in leicht verdaulicher Form und vieles mehr!

 

Die Klienten haben Freude, wirken aktiv mit und kommen außerordentlich gern zur Therapie! Was will ich denn mehr?

 

Ebenso verhält es sich mit den Themen „Neues probieren“ und „Rollenspiele“.

Wir machen in der Therapie gern Experimente, stellen Ideen aus sozialen Netzwerken wie TikTok, Instagram etc. nach.

 

Von außen: „Was machen die immer für komisches Zeug?“, „Bei euch siehts wieder aus…“, „Was ist das denn…..?“

Naja - vermutlich hat mir mein Klient mal wieder von irgendeinem Trend erzählt, oder ein passendes TikTiok-Video mitgebracht, welches wir nach-experimentieren.

Kennt ihr z.B. „oobleck“? Ein Aggregat-Zustand, welcher zugleich fest und flüssig ist.

Wir mussten nur Stärke im Supermarkt kaufen und konnten losexperimentieren.

(Unter anderen Umständen wäre für meinen Klienten ein Besuch im Supermarkt aufgrund der vielen Reize absolut unmöglich gewesen. Wir planten diesen Einkauf über 3 Wochen - und konnten ihn erfolgreich absolvieren! Warum? Weil mein Klient unbedingt dieses Experiment machen wollte! Toll!!! Er war so stolz auf sich!!!)

 

Also: von innen:

Stärkung der Selbstwirksamkeit, Stärkung des Selbstvertrauens, Wagen von neuen Aktivitäten, Wissensvorsprung haben, eigene Wünsche verwirklichen, gemeinsam Neues erleben und bestaunen, und vieles mehr! 

Ich selbst brauchte über 4 Wochen hinweg nichts Großes an Therapieinhalten planen und die Motivation war zu 100% gesichert!

 

Na, und Rollenspiele? Die sind bei uns Alltag, denn wie oben bereits beschrieben können so Lebensweisheiten sehr gut implementiert werden, es können Lösungsideen spielerisch gefunden und sogar erprobt werden - es betrifft den Klienten aber gefühlt zunächst nie selbst. Er kann spielerisch verschiedenste Szenarien ausprobieren und dann möglicherweise eine, die auch in der realen Welt funktionieren könnte, auswählen und ausprobieren.

 


„Flexibel sein"


Na, hier brauchen wir kaum Beispiele, oder? „Flexibel und Plan B-F“ sollte Alltag im Zusammenleben mit neurodivergenten Menschen sein.

Zugegeben - es fordert einiges vom umgebenden System, eben eine gewissen Anpassungsfähigkeit.

Das System darf erkennen, dass weniger „müssen“ und mehr „dürfen“ durchaus möglich ist und unfassbar hilfreich sein kann - zumindest wenn ich mir (in meinen Augen absolut überflüssigen) Stress ersparen möchte.

Hierzu hatten wir bereits einige Beispiele in der PANDA-Strategie 1 „Pick your battles“ beschrieben.

 

Wozu Energie, welche oft sowieso knapp ist, mit (unnötigen) Machtkämpfen, wie „Wer hat Recht?“, „Wer bestimmt?“, „Ich bin die Autorität!“, „Man zieht einfach gleich Socken an!“, „Das ist halt so…“, und so weiter, verplempern?

 


„Zeit geben“


Neurodivergente Menschen erleben ihre Welt anders. Sie müssen viel mehr Sinneseindrücke filtern, sortieren und verarbeiten.

Das raubt Energie, Kraft und Zeit.

Sie können ggf. nicht so schnell entscheiden, ob sie sich einer Aufgabe gewachsen fühlen, wie das neurotypische Menschen bei vermeintlich einfachen Aufgaben tun…

Sie brauchen womöglich mehr Hintergrundinformationen, mehr Zeit zum Abwägen, Zeit für mögliche Versuche, Zeit für ein „sich Herantasten“.

 

Wenn das Gegenüber in diese Verarbeitungszeit zu früh „hineingrätscht“ mit Zwischenfragen, Drängen, genervt ausatmen, muss es sich nicht über eine ablehnende Haltung wundern!

 

Eine Frage wie:„Wollen wir heute ein Eis essen?“ stelle ich oft recht früh zu Beginn einer Einheit, damit genügend Zeit für eine Entscheidung bleiben kann - manchmal gebe ich die Idee (oder eben irgendeine andere) auch über die Woche mit. 

„Wollen wir in der nächsten Einheit ein Eis essen?“. Und ich gebe all die Möglichkeiten mit, über die man sich Gedanken machen, die man vorbereiten kann, um sich dann gut entscheiden zu können. 

„Du kannst gern mit der Mama überlegen, wo wir das Eis kaufen wollen.“, „Du kannst dir im Internet schon mal die Karte der Eissorten anschauen und nachsehen, was eine Kugel kostet.“, „Du kannst am Wochenende schon mal einen Ausflug zur Eisdiele machen und mit Opa „vorkosten“.

 


Dies geht beinah nahtlos in das Thema über:


„Gleichgewicht zwischen geben und nehmen"


Ich stelle mich gern „hinten an“, wenn es um Wissen, Können, Recht haben geht. 

Wozu soll ich hier unnötigen Stress provozieren? Wozu soll ich unnötig schnell vorangaloppieren, wenn noch nicht alle Mitreisenden die Pferde überhaupt gesattelt haben??? Warum sollte ich, nur weil ich die Rolle der Therapeutin (der Mutter, des Vaters, des Lehrers, etc.) innehabe, einfach mehr Rechte haben und alles bestimmen dürfen?

 

Wenn ich meinen Klienten Arbeitsblätter mit nach Hause gebe (z.B. „Wie/ Woran erkennst du, dass du an deine Grenzen kommst?“ oder ähnliches), dann mache auch ich bis zum nächsten Termin diese „Hausaufgaben“. Denn so lernen wir uns noch besser gegenseitig kennen, ich kann möglicherweise durch eigene Berichte ein paar Ideen geben, lasse meinen Klienten mit dieser Aufgabe nicht allein, zeige selbst Engagement und so weiter.

 

Wenn wir nach einer Einheit den Bewegungsraum völlig verwüstet haben, räumen wir wie selbstverständlich gemeinsam auf. Und ja - oft mache ich auch deutlich mehr, aber… na und? Ich habe noch die entsprechenden Ressourcen, ich weiß, wo alles hinkommt, ich habe gleich Feierabend - und ich bin in diesem Falle diejenige, die möchte, dass mein Klient auch gern wiederkommt und nicht das Gefühl hat, von mir zu Dingen gezwungen zu werden…

 

Auch ich mache „Kosten/Nutzen-Rechnungen“ auf. Wie viel Energie kostet es auch mich, auf Mitarbeit, auf „mehr machen“ zu beharren, dies durchzusetzen, mit der durch mich selbst ausgelösten stressigen Stimmung und schlechten Laune zurechtzukommen?

Nee, dann räume ich lieber 4 Fünftel auf und freue mich über die gut gelaunte Hilfe mit dem letzten Fünftel durch meinen Klienten, er dadurch Wertschätzung und Selbstwirksamkeit erfahren darf…

 

Ich passe gern an! Denn es bedeutet auch für mich schlussendlich ein deutliches Mehr an Ruhe, Kooperation, Zusammenhalt und Leichtigkeit.


 

In diesem Sinne: bleibt neugierig!

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