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Janina Jörgens

PDA - Was ist das denn??? - Wenn Strukturen und Regeln alles nur noch schlimmer machen!


Ängstliches Kind


In den Tipps für autistische Menschen spielen Strukturen und Pläne oftmals eine sehr große Rolle.

Denn sie vermitteln Sicherheit in einer von Autisten oft als sehr unsicher empfundenen Welt. Ablaufpläne machen Handlungen überschaubar, liefern eine Gliederung in kleinere Einzelschritte. Rituale entlasten, es ist das wohltuende „immer Gleiche“, worüber man nicht jedes Mal erst erneut nachdenken muss.

 

Nun gibt es aber durchaus Menschen (nicht nur) aus dem Autismusspektrum, die auf Pläne geradezu allergisch zu reagieren scheinen…

Jeder Versuch, gemeinsame Regeln zu erarbeiten oder vermeintlich hilfreiche Pläne oder Zielformulierungen an die Hand zu geben, scheitert…

 

Wir sehen z.B. Kinder, die hochmanipulativ wirken, die ihre Eltern oder Geschwister durch die Gegend scheuchen „Hol mir dies.“, „Bring mir das.“, selbst wenn sie selbst direkt neben dem Gewünschten sitzen oder es sich selbst leicht hätten beschaffen können. Ich höre von Kindern und erlebe sie selbst in der Therapie, die „immer bestimmen was und wie gespielt wird“, die die Regeln selbst erfinden und auch noch ständig während des Spieles ändern - sehr zum Leidwesen von allen Mitspielern, denen so verständlicherweise die Lust an einem gemeinsamen Spiel schnell abhanden kommt…

Die Kinder wirken rechthaberisch, werden als „egoistische Tyrannen“ bezeichnet, wirken äußerst willensstark, Meltdowns sind an der Tagesordnung.

 

Ja, Meltdowns! - und keine „Wutanfälle, weil das Kind seinen Willen mal wieder nicht bekommen hat…“!

Denn hinter diesen emotionalen Ausbrüchen steckt oft eine sehr viel größere Not, als zunächst vermutet wird.

 

Wagen wir einen Blick hinter die oft so laute und scheinbar renitente Fassade, entdecken wir möglicherweise zutiefst verunsicherte Kinder.

 

Was passiert da?

 

PDA-Pathological Demand Avoidance 

(Pathologische Anforderung Vermeidung)

 

Die Kinder wehren sich geradezu zwanghaft gegen jegliche Form der Anforderung. Selbst eine ganz behutsame und einfühlsam formulierte Bitte kann in einer emotionalen Explosion enden…

Tatsächlich ist die Problematik gar nicht in der Anforderung der Tätigkeit zu finden sondern in der Tatsache, dass jemand von außen diese Anforderung stellt.

 

Ein Beispiel:

Jan packt eine Schokofigur aus seinem Osternest aus und steckt sich die Süßigkeit in den Mund. Er geht kauend in Richtung Küche, um das Verpackungspapier wegzuwerfen. Seine Mutter hat das verräterische Knistern gehört, sieht Jan kauen und sagt: „Könntest du das Papier gleich in den Müll werfen? Morgen werden die Tonnen geholt.“

„…“

Das Papier landet auf dem Boden, Jan rennt genervt aus dem Zimmer.

Seine möglichen Gedanken: „Egal, was ich mache, es ist eh immer falsch. Mir wird auch nichts zugetraut. Ich war schon auf dem Weg - ich bin doch nicht doof… Immer ich . Die behandeln mich hier alle wie ein Kleinkind….“

 

Sogar eigene Ansprüche können eine solche Vermeidungshaltung hervorrufen. Eigene Anforderungen können sein ein „ich sollte…“ oder „ich müsste mal wieder…“. Und tatsächlich kann sich gas gleichermaßen auf körperliche Bedürfnisse, wie z.B. den Toilettengang, auf eher ungeliebte Tätigkeiten wie das Aufräumen oder aber auch auf einen eigentlich ersehnten Besuch bei Freunden beziehen.

Die möglichen Grenzen und Unterschiede zu sogenanntem prokrastinierenden Verhalten sind noch nicht klar untersucht und benannt.

 

Kinder mit einem PDA-Profil kommen mit einem erhöhten Maß an Spontaneität und Flexibilität besser zurecht, als mit ordnenden Plänen und Strukturen. 

Da in unserer westlichen Welt das Alltagsleben allerdings leider kaum ohne ordnende Strukturen und Regeln auskommt, gibt es hier leider allzu oft Konfliktpotential.

 

Für die Familienmitglieder ist der Umgang mit PDA-Kindern leider oftmals schwierig. 

Den Eltern wird ggf. die Erziehungskompetenz abgesprochen, da sie als Helikoptereltern alles mit sich machen ließen. Sie hätten sich zu Sklaven ihrer eigenen Kinder degradiert… Geschwister leiden unter dem vermeintlich manipulativen Verhalten, was ihnen eine eigene freie Entfaltung oft erschwert. Die Rückmeldungen aus der Schule kann man sich leicht vorstellen…

 

Tatsächlich befinden sich die Kinder in einem dauerhaft erhöhten Erregungszustand. Sie leben mit einer ständigen Angst vor Kontrollverlust.

 

Als mögliche „Antwort“ auf eine Anforderung sieht man von außen verschiedene Varianten: Fight (Angriff), Flight (Flucht), oder Freeze (Einfrieren). Also eigentlich „normale“ Reaktionen, wenn wir uns einer potentiellen Gefahr ausgeliefert sehen.

 

Allerdings kann dies bei PDA-Kindern z.B. möglicherweise auch durch ein Lob ausgelöst werden…

„Warum? Ich wollte doch nur zeigen, dass ich es toll finde, was … da geschafft hat!“

Ja. Beim Kind kommt ein Lob aber vielleicht an als: „So, jetzt weiß ich ja, was du kannst, wenn du nur willst. Diese Leistungen erwarte ich ab jetzt immer von dir!“

 

Zunächst ist es also sinnvoll, jeglichen zusätzlichen Stress nach Möglichkeit zu reduzieren und Sicherheiten zu vermitteln.

Die Kinder sind oftmals sehr kooperativ, wenn man sich mit ihnen in „Verhandlungen auf Augenhöhe“ begibt. Ich staune regelmäßig, wie ernsthaft sich die Kinder gemeinsam mit den Eltern und mir in einer ruhigen Situation auf Lösungssuche begeben können und welch kreativen und auch sehr lösungsorientierten Vorschläge sie beibringen!

 

Je stressfreier eine Grundsituation ist, umso bereiter sind PDA-Kinder in der Regel, sich auf solche Kooperationen und auch auf mögliche Anforderungen einzulassen.

 

Bislang spielt PDA im deutschsprachigen Raum leider noch eine untergeordnete Rolle und stellt bisher auch keine eigenständige Diagnose dar.

 

Hier muss noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden, damit das Verhalten der Kinder richtig eingeordnet und ihnen geholfen werden kann.

 

In diesem Sinne:

Bleibt neugierig aufeinander! 🍀

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