„Das kann doch nicht sein!!!“
Ich kann nicht sagen, wie oft ich diesen Satz schon gehört habe.
Und ich kann auch nicht sagen, wie oft ich geantwortet habe: „Doch - das kann sein!“
Ja, es gibt Ratgeber zur kindlichen Entwicklung, in denen aufgelistet steht, wann ein Kind was zu können hat. Dort ist angegeben, in welchem Alter ein Kind beginnt zu zahnen, zu lächeln, zu laufen, zu sprechen, etc…
Aber ich kenne kein Kind, welches diese Entwicklung von vorn bis hinten exakt so durchlaufen hat, wie es dort geschrieben steht. Mal ganz davon abgesehen, dass die Angaben von Ratgeber zu Ratgeber ja auch durchaus variieren können… Da „weiß“ man als Kind ja gar nicht, an welchen Ratgeber man sich nun halten soll (Ironie off).
Jetzt mal ernsthaft: So ziemlich jede Mutter kann von einzelnen Entwicklungen berichten, seien sie rein körperlicher Natur oder auch kindliche Fähigkeiten, die nicht „lehrbuchgetreu“ abgelaufen sind, aber eben dennoch irgendwann stattgefunden haben.
Wenn dies nun „mal die eine oder andere“ Entwicklung betrifft, ist man also zunächst in keinster Weise verwundert. Das ist ja „normal“.
Unruhig wird der Beobachter erst dann, wenn eine Entwicklung außergewöhnlich früh zu beobachten ist, außergewöhnlich lange auf sich warten lässt oder eben, wenn ein Kind eine unhomogene Entwicklung zeigt - was bei neurodivergenten Kindern allerdings oft der Fall ist…
Da ich nun seit vielen, vielen Jahren mit Autisten arbeite und mannigfaltige Entwicklungsverläufe begleiten durfte, ist selbst diese unhomogene Entwicklung für mich „normal“ - „Doch, das kann sein!“
Es kann sein, dass jemand mit 13 Jahren ein Gymnasium besucht, es aber noch nicht schafft, allein auf die Toilette zu gehen und eine Inkontinenzhose trägt…
Es ist möglich, nicht-sprechend zu sein und dennoch lesen, schreiben, rechnen hervorragend zu beherrschen.
Es gibt Menschen, die 2 Studiengänge gleichzeitig absolvieren, aber zu Hause einen Plan mit Symbolen zur Körperpflege brauchen.
Und ja, man kann hocherfolgreich selbstständig in eigener Firma mit 27 Angestellten arbeiten, aber nicht allein im Supermarkt einkaufen können…
Unhomogene Entwicklungen.
Den 10. Schritt vor dem 3. tun…
Ja - das kann sein!
Allerdings ist es nicht üblich - gemessen an der Mehrheit der Menschen und somit der Mehrheit der „typischen“ Entwicklungen.
Ich frage an dieser Stelle mal ganz frech: Na und?
Wichtig ist es, die Entwicklung zu beobachten und zu begleiten.
Und wenn wir es schaffen, dies selbst in Anbetracht einer „unhomogenen Entwicklung“ wertschätzend und akzeptierend zu tun - umso besser!
Natürlich ist es etwas schwieriger bei einer „untypischen“ Entwicklung dann auch die passende Zielsetzung zu formulieren und die passenden Hilfen zu finden, doch auch hierbei kann Neugier helfen!
„Was brauchst du? Was könnte dir helfen? Was möchtest du schaffen?“
In diesem Sinne: Bleibt neugierig aufeinander!
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