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Janina Jörgens

Wird Autismus im Alter schlimmer? - “Long story short”: nein…


Sitzende, nachdenkliche Frau


;-)

 

Autismus bleibt Autismus – ein Leben lang.

 

Aber: Die Symptome können sich im Laufe des Lebens durchaus verändern. 

Es können mehr werden, aber auch weniger. Die Symptome können sich verstärken, aber auch mildern.

 

Woran liegt das?

 

Nun, ein „optimales“ Umfeld kann hier am meisten erreichen. Wenn ein Mensch mit ASS  Zeit und Raum genug bekommt und in einer verständnisvollen Familie aufwächst, die mit möglichen Stimmings kein Problem hat, in einen Kindergarten oder später eine Schule geht und dort auf Pädagogen mit einer ähnlich empathischen, zugewandten Haltung trifft, sich einen Beruf wählt, der zu den eigenen Stärken und vielleicht auch Schwächen passt – dann „stören“ die vorhandenen Symptome vielleicht recht wenig und werden dann auch als „nicht störend“ empfunden. Besonderheiten sind da und werden akzeptiert.

Ein Traum-Szenario, was leider meist nicht umsetzbar scheint.

 

Denn selbst wenn wir innerhalb der Kern-Familie noch recht gute Bedingungen kreieren können wird es spätestens mit Eintritt in Institutionen wie Kindergarten und Schule zu einer Art „Glücksspiel“, ob wir dort auf Personen treffen, die zu unseren Kindern passen und helfen können, die sogenannten „Passungsprobleme“ zu vermeiden…

 

Also, wer auf optimale Verhältnisse träfe, würde mit seinen möglichen Besonderheiten nicht anecken. Wer nun nicht in Stresssituationen gerät, kann ruhig leben und muss sich nicht schützen. Wer sich nicht schützen muss und keinen besonderen Stress erlebt, benötigt keine oder wenig Stimmings. Und wenn er sie doch mal benötigt, trifft er auf die angenehme „so what“-Haltung in seinem entspannten Umfeld.

 

Ein optimales Umfeld sorgt also für wenig „störende“ Symptome.

 

Das ist der gleiche Punkt, warum Therapien wirken können – oder eben auch nicht. 

Wenn wir eine Therapieform und einen Therapeuten finden, der sich vorurteilsfrei und akzeptierend auf unser Kind oder auf uns einlassen kann, dann kann er auch wirksam sein. Dazu bedarf es eigentlich nur in zweiter Linie ausgefeilter Therapieinhalte. In erster Linie brauchen wir empathische Menschen, die sich in die Wahrnehmungs- und Bedürfniswelten von Autisten hineinversetzen können.

 

Warum sieht es aber dann oft so aus, als ob die Symptome im Alter „schlimmer“ werden??? Eigentlich müsste man dann doch im Laufe der Zeit sein möglichst passendes Umfeld und eigene (hoffentlich funktionierende) Coping-Strategien gefunden haben?

 

Ja, schon.

 

Aber man hat auch viel erlebt. Und all das hat seine Spuren hinterlassen. 

Denn, wenn wir ehrlich sind: das oben beschriebene Traum-Szenario werden leider vermutlich die wenigsten ihr gesamtes Leben lang erleben dürfen.

Immer wieder ist man über seine persönliche Grenzen gegangen - freiwillig und unfreiwillig. Immer wieder wurden die eigenen Grenzen von anderen Personen verletzt - bewusst und unbewusst. 

Immer wieder hat man Traumata erfahren – große und kleine.

Immer wieder musste man sich anpassen.

 

Und im Alter ist der Mensch einfach nicht mehr so leistungsfähig… - ob Autist oder nicht…

 

Die körperliche wie auch mentale Belastungsfähigkeit sinkt. Was in den 20ern noch „automatisch“ funktionierte (z.B. 20 Sit-Ups) muss mit 50 regelmäßig trainiert werden, „automatisch“ geht das nicht mehr...

Multitasking und das scheinbar ewig existente „Mal eben…“ klappt mit zunehmendem Alter auch nicht mehr so leicht.

 

Und so ertappt sich der eine oder andere ASS´ler vielleicht dabei, dass Masking nicht mehr so einfach nebenbei funktioniert, sondern zunehmend mehr Kraft kostet.

Der Bürotag ist immer noch 8 Sunden lang, die Kollegen immer noch dieselben, die Aufgaben sogar auch… und dennoch fällt man Abends nur noch auf das Sofa und fragt sich: Wie habe ich das früher nur geschafft!?

Man sucht sich - bewusst oder unbewusst - neue oder andere Coping-Strategien, beginnt mit den Füßen zu wippen, an den Fingern zu knibbeln, auf den Wangeninnenflächen zu kauen… Man braucht mehr Pausen, verkürzt vielleicht die Arbeitszeiten. Man bemerkt an sich Stimmungsschwankungen, Meltdowns bei „Kleinigkeiten“, die man früher einfach erledigt hat…

 

Der Autismus wird nicht schlimmer.

Die Symptome werden aber vielleicht sichtbarer - allein weil man mit der Zeit weniger entgegenzusetzen hat.

 

Bleibt achtsam und liebevoll mit euch!

Die Zeit macht vor niemandem Halt!

Nehmt die Veränderungen an, seid dankbar für das, was ihr schon geleistet habt! Übt euch in Akzeptanz und schaut, was ihr für euch in eurem Leben nach und nach anpassen könnt.

 

Ich selbst begrüße jedes graue Haar und jede Falte, denn dies zeigt deutlich nach außen, dass ich einfach nicht mehr alles mitmachen können muss… ;-) Ich empfinde das durchaus als erleichternd! - Alles eine Frage des Blickwinkels… ;-)

 

In diesem Sinne: Bleibt neugierig auf euch und aufeinander!


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