Es ist eine eigene Kunst, sinnvolle Ziele zu finden und sie gut und passend zu formulieren. Auch und gerade eben in der Arbeit mit Autisten.
Oftmals müssen wir als Eltern, Lehrer, Erzieher oder auch Therapeuten unsere eigenen Zielideen und Wünsche womöglich anpassen…
Denn nicht immer sind die Ziele, die wir als Außenstehende im Hilfesystem im Kopf haben, deckungsgleich mit denen des Klienten selbst…
Auch hier hilft wieder Neugier und vor allem: Akzeptanz!
Was ist da gerade möglich oder nicht möglich - und: Ok, so ist es.
Es lohnt sich durchaus auch die Frage: Warum ist dies oder das (noch) nicht möglich? Denn wenn wir diese Frage beantworten können, können wir nach möglicherweise passenden Hilfen suchen.
Wie sehr man hier allerdings manchmal „um-die-Ecke-denken“ muss, habt ihr ja hier schon in dem einen oder anderen Artikel erfahren. Leider gibt es auch dafür keine Patent-Pläne oder ähnliches… Dazu ist die Arbeit zu individuell - wenn sie passen soll!
Und sollten wir nun herausgefunden haben, was nicht funktioniert und vielleicht sogar, warum etwas (noch) nicht funktioniert… dann brauchen wir noch einen passenden Ansatz, dies auch zu vermitteln.
Ahnt ihr es schon?
Richtig: Auch hier gibt es kein „man tut“ und „man macht“… Auch hier müssen wir individuell arbeiten, uns anpassen, beobachten, ausprobieren.
Gern möchte ich euch einladen, bisheriges „Wissen“ über Bord zu werfen und euch auf eure Beobachtungsgaben und eure Intuition zu berufen.
Stellt euch Fragen wie:
„Wie würde ich mich an seiner/ihrer Stelle fühlen?“
„Leidest du unter der Situation?“
„Was möchtest du ändern?“
„Was möchtest du, dass sich (im Außen) ändert?“
Ein Beispiel:
Ein 13-Jähriger Gymnasiast, der es nicht schafft, in er Schule die Toilette rechtzeitig aufzusuchen und regelmäßig mit nasser Hose nach Hause kommt. Er trägt eine Inkontinenzhose und die Eltern wünschen sich, dass er „trocken“ wird und auf die Hose verzichten kann.
Doch fragen wir ihn selbst, bekommen wir vielleicht folgende Antwort:
„Es geht mir gut. Ich finde es praktisch, endlich nicht mehr dauernd auf die Uhr schauen zu müssen, evtl. trotzdem den richtigen Zeitpunkt zu verpassen und wegen einer nassen Hose gehänselt zu werden. Ich wünsche mir, dass mich keiner mehr deswegen nervt. Ich möchte mich in der Schule aufs lernen konzentrieren.“
OK - hier könnten wir also möglicherweise einen Plan für die Zeit zu Hause erarbeiten, versuchen, hier nach und nach auf eine Inkontinenzhose zu verzichten und unterstützend ggf eine sensorische Integrationstherapie oder eine Wahrnehmungsschulung anbieten.
Und unsere eigenen Zielideen und Wünsche womöglich anpassen…
Die Eltern eines Studenten, welcher 2 Studiengänge parallel absolviert, aber mit 23 Jahren zu Hause noch einen Duschplan braucht, wünschen sich, dass ihr Sohn solche „Selbstverständlichkeiten“ wie Duschen „endlich selbst hinbekommt…“.
Doch der Student mit seinem „Duschplan“ wird womöglich sagen: „Der Plan ist toll. So vergesse ich nichts mehr und kann selbstständig leben. Allerdings wäre es mir total peinlich, wenn das jemand anderes sieht, der vielleicht mal zu Besuch kommt. Deshalb lade ich niemanden ein und habe, um solche Situationen zu vermeiden, keine Freundschaften.“
Oha! Hier liegen die „Probleme“ und somit die eigenen Wünsche und Ziele womöglich ganz woanders als vermutet!
Hier wünscht sich jemand mehr Freundschaften… Und vielleicht eine Möglichkeit, den Duschplan einfach
zu kaschieren…
Also sollten wir auch hier mögliche Angebote überdenken…
Und unsere eigenen Zielideen und Wünsche womöglich anpassen…
Und ein Firmeninhaber berichtet von seinem Alltag, erzählt, dass er Supermärkte vermeidet, da er sie aufgrund der vielen Reize als absolute „Folter“ bezeichnet.
Der Therapeut schlägt also womöglich ein Einkaufstraining zur Verbesserung der Selbstständigkeit vor.
… Vielleicht freut sich der Klient aber durchaus darüber, wenn er sich auf seine Firma konzentrieren kann und statt eines langwierigen und anstrengenden „Einkaufstrainings“ sich die Dinge des täglichen Bedarfes einfach liefern lassen kann…
Wie dürfen lernen, dass eine gute Zielformulierung denjenigen im Blick behalten soll, um den es bei der angebotenen Hilfe geht - den Klienten selbst.
Fragt ihn oder stellt euch die Fragen für ihn (wenn es sich um einen sehr jungen oder nicht-sprechenden oder kognitiv stark eingeschränkten Klienten handeln sollte).
Werden von außen Ziele um den Klienten herum entworfen, darf sich im weiteren Verlauf auch niemand wundern, wenn es unglaublich zäh und schwierig ist, diese zu verfolgen, geschweige denn zu erreichen…
Es kann sein, dass die „Außen-Ziele“ durchaus eine gute Idee sein können, vielleicht ein gutes Fernziel sind - es kann aber ebenso gut sein, dass der Klient selbst zunächst andere Ziele benötigt - möglicherweise um im weiteren Verlauf dann die ferneren Ziele überhaupt in Angriff nehmen zu können.
Also: fragt nach. Und lasst euch Zeit, um wirklich gute Ziele zu formulieren, die ihr dann gemeinsam verfolgen könnt.
Bleibt neugierig!
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